: Auf der schlechten Seite
Seit neun Monaten liegt Wlodzimierz Rosik mit seiner „BM 5247“ bei Schnackenburg auf dem Trockenen. Seitdem hofft der polnische Binnenschiffer auf die Versicherung – und Frühlingshochwasser in der Elbe
VON PETER BRANDHORST (Text) und MAURICIO BUSTAMANTE (Fotos)
Der 21. März dieses Jahres, ein Freitag, war eigentlich ein ganz schöner Tag, erinnert sich Wlodzimierz Rosik. Erste, milde Sonnenstrahlen erwärmten bereits die Luft, während es in den Nächten weiter stark abkühlte. Das zuvor die Schifffahrt auf der Elbe behindernde Treibeis war geschmolzen, und auch das Hochwasser hatte begonnen, abzulaufen. Noch allerdings lag der Pegel elbaufwärts, bei Schnackenburg etwa, drei Meter über normal, doch auf dem Fluss herrschte längst der gewohnt rege Schiffsverkehr. Als der 57-jährige Rosik an jenem Morgen an der Geesthachter Elb-Schleuse oberhalb Hamburgs die 330 PS starken Dieselmotoren seines leeren 450-Tonnen-Binnenfrachters startete, erwarteten ihn noch etwa fünf Tage Fahrt zurück in seine polnische Heimat.
Am Nachmittag zuvor hatte er es von der Billwerder Bucht in Hamburg bis nach Geesthacht geschafft. An diesem Freitagabend sollte es bis nach Schnackenburg gehen, dem früheren Grenzhafen zur DDR. Gegen 20 Uhr, es war schon dunkel, wollten Rosik und sein Matrose dort den Hafen anlaufen. Und dann, sagt der Kapitän, „hab ich die schlechte Seite genommen“.
Seither liegt der 57 Meter lange und 7,60 Meter breite Frachter fest – aufgelaufen auf dem Deichvorland zwischen Hafeneinfahrt und Deichkrone. Erste Bergungsversuche scheiterten, weil sie wahrscheinlich zu spät unternommen wurden. Längst hat sich die Elbe einen guten Steinwurf weit zurückgezogen. Nächster möglicher Bergungstermin: Das im März zu erwartende Frühjahrshochwasser. „Wir hatten aber einen außergewöhnlich trockenen Sommer“, gibt man beim zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamt Wittenberge zu bedenken, „womöglich müssen wir deshalb noch ein weiteres Jahr warten.“
Wlodzimierz Rosik ist ein schlanker, weißhaariger Mann. Seit 1965 befährt der Binnenschiffer die mitteleuropäischen Wasserstraßen. Zumeist von Polen nach Holland oder Belgien, immer wieder aber auch die Elbe. So wie in jenen März-Tagen, als er eine Ladung Bleche von Stettin nach Hamburg brachte. Jetzt sitzt er in seiner kaum zehn Quadratmeter großen „Kabina Kapitana“ und sagt, „eigentlich fühle ich mich ganz gut“. In einer Ecke verströmt ein wärmender Ofen den unverkennbaren Geruch von Dieselbrennstoff. Der Kapitän verlässt auch jetzt, nach Monaten, sein Schiff nicht. Und dann, mit einem schüchternen Lächeln, lässt er für einen kurzen Moment doch einen Blick auf seine wahre Seelenlage zu. „Wenn man so lange mit seinem Schiff auf Land liegt“, sagt Rosik, „dann muss man schon akzeptieren, dass das peinlich ist.“
Als Rosik an jenem Abend auf den Schnackenburger Hafen zusteuerte, bemerkte er an Backbord die aus dem Hochwasser ragende Spitze eines meterhoch aufgeschütteten Walls von Pflastersteinen und steuerbords die Deichkrone. Er hielt das für die Begrenzungen der Hafenzufahrt. Ein fataler Irrtum. Diese befindet sich einige Meter hinter – und nicht vor – dem Steinhügel und war an jenem Abend beidseitig lediglich mit zwei Begrenzungstonnen gekennzeichnet. Rosik sagt, diese Tonnen habe er von seinem Ruderstand aus in der Dunkelheit nicht erkennen können. Üblicher Standard seien zwei hoch aufragende Markierungsstangen, die jedoch fehlten.
Die Steine, heißt es unter Schnackenburger Bürgern, lägen dort bereits seit ein paar Jahren und hätten eigentlich schon längst verbaut sein sollen zur Ausbesserung der Buhnenköpfe entlang des Flusses. Und beim Wasser- und Schifffahrtsamt wird auch das Fehlen der Markierungsstangen bestätigt. Diese seien zuvor vom Treibeis mitgerissen worden. Während Schiffer Rosik deshalb von einer Mitverantwortung der Behörden und Ämter an der Havarie spricht, wird diese Sicht vom Schifffahrtsamt zurückgewiesen. Die Tonnen seien als Orientierung ausreichend gewesen, zudem habe der nautische Informationsfunk regelmäßig informiert. Und der Kapitän habe erst nach 16 Stunden, also gegen Mittag des folgenden Tages, Hilfe angefordert. Da der Pegel zwischenzeitlich um etwa 16 Zentimeter gesunken war, sei dann jede Hilfe zu spät gewesen.
Allerdings war der havarierte Frachter an diesem Morgen schon längst Tagesthema unter Schnackenburgs Bürgern. Rosik selbst sagt, er habe in diesen Stunden noch gehofft, mit Hilfe von Ankerwinden und durch eigene Kraft freikommen zu können. Er bestreitet, dass es Warnungen über Funk gegeben habe. Das aufgelaufene polnische Binnenschiff „BM 5247“, so viel wird deutlich, ist auch ein Fall für die Versicherungen. Wer zahlt den Schaden?
Kapitän Rosik geht zur Kombüse und gießt Heißwasser auf Instantkaffee. Dazu reicht er ein Glas Kaffeeweißer. „Was ich unbedingt zum Leben brauche, habe ich“, sagt er. Die Versicherung des knapp 40 Jahre alten Schiffes, das er zusammen mit seinem Schwager vor sieben Jahren von einer polnischen Reederei gechartert hat, will weder für Bergung noch Verdienstausfall aufkommen. „Die sagen, das sei nicht Bestandteil des Kontraktes“, der Ausgang des Streits ist ungewiss. Seit März wird der gestrandete Schiffer von seinem Schwager unterstützt, der auf einem zweiten Frachter durch Europa fährt.
„Ich hab ihn damals zu meinem Feierabend noch auf der Elbe hochkommen sehen“, sagt Fährmann Klaus Reineke, „und am nächsten Morgen sah ich ihn wieder – gestrandet.“ Fährmann und Kapitän haben inzwischen Freundschaft geschlossen. „Er ist ja sehr feinfühlig“, sagt Reineke, „die erste Zeit ist er nicht runtergekommen von seinem Schiff. Inzwischen taut er auf.“ Aus der Bevölkerung erfährt Rosik Unterstützung. Die Stadt hat ihm ein Stromkabel gelegt, die Feuerwehr füllt regelmäßig den Frischwassertank auf. „Wir leiden mit ihm“, sagt der Fährmann, „da hat ja alles gepasst: Hätte er etwas Ladung an Bord gehabt, also mehr Tiefgang, und wäre das Hochwasser plötzlich nicht so rasch abgelaufen, dann wäre alles noch mal gut ausgegangen.“ Kann passieren, sagt der Fährmann jetzt noch und will trösten. Und der Kapitän antwortet: „Das Schiff liegt jetzt hier wie in einem Trockendock.“
Bis zum nächsten Frühjahrshochwasser will Wlodzimierz Rosik noch auf seinem Schiff ausharren. Wenn bis dahin nichts geschehen ist, weder Versicherung noch Hochwasser für Abhilfe gesorgt haben, „dann werde ich wohl schweren Herzens zurückgehen müssen“. Zurück nach Polen, zurück auf ein anderes Schiff. Und vielleicht auch wieder zurück auf die Elbe.