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Archiv-Artikel

Bitte recht einsam

Freundlich lächeln auf Kommando brauchen die 18 BewohnerInnen der Hallig Nordstrandischmoor nicht, wenn die Pressemeute einfällt. Die ist schon zufrieden, wenn ein Schaf seinen Kopf hebt oder ein Kind seinen ersten Schultag erlebt

von NordstrandischmoorEsther Geißlinger

Da zupft ein Schaf Gras. Da ziehen Wolken am weiten Himmel. Da rüttelt ein Trecker über einen Feldweg. Da wogt das Meer in Spuckweite. Da hüpft das Herz: Eine Hallig, ein Leben unter kargen Bedingungen, eine Idylle, ein Klischee.

Nordstrandischmoor heißt die Mini-Insel im nordfriesischen Watt, auf die Medienschaffende gerne reisen, wenn sie Bilder oder Texte aus der fernen Welt des Wattenmeers und seiner Ureinwohner brauchen, der vier- und der zweibeinigen. Zehn Halligen gibt es, fast alle sind sie bewohnt und sei es nur durch den Vogelwart. Doch Nordstrandischmoor hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber Mitbewerberinnen wie Hooge oder Gröde: einen schienenbesetzten Damm, der die Hallig mit dem Festland verbindet. Der ist erstens fotogen, vor allem mit einer rollenden Lore darauf, die Mensch, Tier und Lebensmittel auf die Insel bringt. Zweitens spart der Damm lange Schiffstouren. Nordstrandischmoor bietet Weltabgeschiedenheit mit guter Anbindung an die Zivilisation. So frösteln an einem ganz normalen Montag im Herbst gleich drei Redakteure verschiedener Medien auf der Jagd nach einer exotischen Exklusivstory an der Abfahrtsstelle der Lore, außerdem dreht eine Jung-Regisseurin auf der Hallig einen Film.

Der Eindruck täusche, meint Ruth Hartwig-Kruse: „Nach Gröde fahren sie alle, weil das die kleinste Gemeinde Deutschlands ist. Zwischen den übrigen hält es sich die Waage.“ Hartwig-Kruse ist so etwas wie die Medienmanagerin der Hallig. Das hat sich so entwickelt: Die Mutter von vier Kindern ist häufig zu Hause, hat keine Scheu vor Kameras und vermietet Fremdenzimmer. Wer im Amt auf der Nachbarinsel Nordstrand nach einem Ansprechpartner für eine Hallig-Geschichte fragt, bekommt die Nummer der Familie Hartwig. Angebote und Anfragen gibt es viele: „Man muss mittlerweile selektieren, wo man mitmacht“, sagt Hartwig-Kruse. Neulich wollte ein Privatsender eine Frauentausch-Geschichte drehen, das lehnte die 41-Jährige ab: „Ich fahre ja gerne mal nach Hamburg und besuche Freunde, aber ich habe keine Lust, mich als Blöde vom Land abstempeln zu lassen.“

Was das Halligleben ausmacht, berichtet sie aber freimütig: 30-mal im Jahr schwappt das Meer direkt vor der Haustür, weil das flache Land überspült wird. Damit es den Halligbewohnern nicht über den Kopf steigt, wurden die Häuser auf kleinen Hügeln gebaut, den Warften. Von Warft zu Warft führen nur Treckertrassen, auf denen milde-erstaunt blickende Schafe den Weg blockieren, der nächste Laden liegt auf dem Festland. „Nordstrandischmoor ist ein Ort, an den man sich zurückziehen könnte, wenn im Leben etwas richtig schief läuft – man schwebt hier ein bisschen“, meint Christina Amrein. Die 29-Jährige studiert Regie und dreht über die Hartwig-Kinder ihren Abschlussfilm.

Deren Mutter Ruth sieht die Medienpräsenz pragmatisch: „Werbung für die Hallig und für Unterkünfte.“ Zwar leben die 18 Bewohner nicht vom Fremdenverkehr allein – alle Männer kümmern sich als Angestellte des Amtes für ländliche Räume um den Küstenschutz –, aber wenn die Ferienwohnungen vermietet sind, fällt das im Familienbudget angenehm auf.

So war also das Fernsehen dabei, als die siebenjährige Ann-Kathrin, zurzeit das einzige Mädchen auf der Hallig, im vergangenen Jahr eingeschult wurde. So lud der älteste Sohn der Hartwigs vor einigen Jahren geduldig immer wieder den Weihnachtsbaum der Familie auf die Lore, bis der dpa-Fotograf seine Bilder im Kasten hatte. „Der Junge kam ganz durchgefroren nach Hause“, erinnert sich seine Mutter.

Demnächst kann die ganze Republik gucken, was so los ist auf Nordstrandischmoor: Zwei Redakteure der ARD haben sich für mindestens ein halbes Jahr auf einer Warft eingemietet. Ab dem 3. Januar wird jeden Tag eine Minute Halligleben gesendet: Da grast ein Schaf, da ziehen Wolken, da tuckert ein Trecker. Eine Idylle im Häppchenformat, aufgetischt im mittäglichen „ARD-Buffet“, einem bunten Magazin mit Tipps und Lebenshilfe „für Leib und Seele“. Christian Ziegel (53), der mit seiner Kollegin Susanne Piesker (39) das Experiment wagt, will „Lebensformen zeigen, die am Auslaufen sind“: „Familien, die sich umeinander kümmern, die intensiv mit der Natur leben. Kinder, die glücklich sind, weil sie draußen mit dem Hund spielen können.“ Das alles kenne der Städter ja gar nicht mehr, meint der Redakteur, der sich auf schöne Erfahrungen freut – mit allem, was dazu gehört: „Wir sind jetzt Halligbewohner, wir packen an, wenn wir gebraucht werden.“ Und drehen gleich mit.

Dass ihnen die Themen ausgehen, glaubt Ziegel nicht: „Erst einmal müssen wir weit ausholen. Nicht jeder Bayer weiß, was eine Hallig ist.“ Dann werden die Familien vorgestellt, dann gibt es „Tiere, Windräder, Traktoren, Touristen, die Freuden und Kümmernisse des Lebens“. Zumindest das Casting der Akteure stellte bislang kein Problem dar: Die Hartwig-Kinder sind an Kameras gewöhnt, Interviews geben sie locker: Sie wollen alle auf der Hallig bleiben, in der Stadt sind zu viele Autos, und es ist zu laut, diktieren Ann-Kathrin und ihr fünfjähriger Bruder Hendrik in den Block, der dreijährige Erik piepst seine Zustimmung.

Nur der Redakteur hat es noch schwer: Beim ersten Dreh im Watt verlor Christian Ziegel seine Gummistiefel. „Anfängerfehler“, gibt er zu. Aber dank des Lorendamms ist es nicht weit zum Festland, wo der Wahl- Nordstrandischmoorer sich neu einkleiden kann für das Leben in der Einöde.