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Archiv-Artikel

Theater zum Zappen

Seit einem Jahr macht das „Prime Time Theater“ im Wedding eine Art Fernsehen auf der Bühne. Die Organisatoren wollen Menschen ansprechen, denen das Programm in der Glotze zu platt ist und Theater zu schwer. Zum Renner entwickelte sich die Soap „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“

Wer keinen Fernseher hat, kriegt seine wöchentliche Ration Berieselung hier

VON SÜNJE PAASCH-COLBERG

Einen roten Vorhang gibt es nicht. Auch nummerierte Sitzränge und professionelle Beleuchtung sucht man vergebens. Der Zuschauer sitzt auf einfachen Holzstühlen, die Schauspieler auf der kleinen Bühne knipsen sich ihr Licht selber an. In der Pause gibt es weder Häppchen noch Laugenbrezeln, aber wer seine Eintrittskarte vorzeigt, zahlt beim Döner um die Ecke fünf Cent weniger.

Das Prime Time Theater im Wedding ist anderes Theater. Es bringt das Fernsehen auf die Bühne. „Wir machen eine Mischung aus TV und Theater“, erklärt Constanze Behrends, Schauspielerin und Mitbegründerin der Bühne. Das Ziel ist ein gutes Unterhaltungsprogramm, bei dem der Zuschauer viel Spaß hat, das „nicht verkopft“ ist und bei dem man auch einmal abschalten kann. Wie vor dem kleinen Kasten zu Hause eben – und doch ein bisschen anders.

Der Aufbau der Theatersoap ist dem einfachen Fernsehformat entlehnt, die Geschichte ebenso. Es werden bekannte Film- oder Fernsehsendungen in etwas veränderter Form nachgespielt. Die Serie „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, für die Constanze Behrends jede Woche eine neue Folge schrieb, war ein echter Knüller und regelmäßig ausverkauft.

Das Publik dankt dem Prime Time seine Ideen. Auch darum, weil für die Besucher aus dem Bezirk „hier die Hemmschwelle wesentlich geringer ist als an anderen Bühnen. Mit uns kann man reden“, sagt Behrends Kollege Oliver Tautorat. Der Eintritt ist günstiger als im Kino, und Tautorat steht abends selbst an der Kasse. Es herrscht eine äußerst familiäre Atmosphäre. Ein Konzept, das gut ankommt. Wer eine Vorstellung am Freitag- oder Samstagabend besuchen möchte, muss inzwischen Karten vorbestellen.

Ein Jahr alt ist das Prime Time Theater jetzt und wie viele Projekte eher zufällig entstanden. Aus einem anfänglichen Probenraum im Wedding machten Behrends und Tautorat ein Theater, das sie in Anspielung auf die Hauptsendezeit im deutschen Fernsehen „Prime Time“ tauften. Zunächst trat das Paar mit „Gerührt, nicht geschüttelt“ auf, einer Zusammenstellung aus Filmszenen von Harry & Sally bis James Bond.

Um der Spontanität im Alltag auch auf der Bühne gerecht bleiben zu können, bot sich dann das Format einer Serie an. Der Klassiker des Prime Time Theaters entstand: die Seifenoper „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Die Rechnung ging auf. „Auf einmal hatten wir tierischen Zulauf, was wir gar nicht erwartet hatten“, erinnert sich Constanze Behrends. Inzwischen gehören neben der Bühnenbildnerin und dem Maskenbildner noch zwei weitere Schauspieler und eine Regieassistentin zum festen Team. Seitdem das kleine Theater in das ehemalige Bewag-Gebäude in der Osloer Straße gezogen ist, haben 60 Zuschauer darin Platz.

Als Geburtstagsgag zum einjährigen Bestehen spulte das Prime Time je eine Szene aus allen Produktionen des letzten Jahres herunter. Der Zuschauer „zappte“ sich also einmal quer durch das Programm. „Polizeiruf 65 – Alle Spuren führen nach Wedding“ war dabei, „der Kleine Prinz“ ebenso. Aus „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ gab es gleich zwei Szenen zu sehen.

Die Schauspieler auf der kleinen Bühne knipsen sich ihr Licht selber an

Sie bestätigten allerdings auch das Manko des Prime Time: Es ist klischeehaft, und der eigens proklamierte lokale Bezug gerät immer wieder außer Sichtweite, sind doch die Szenen austauschbar. Döner gibt es auch anderswo. Würde Mahmud nicht im Gesundbrunnen-Center einkaufen gehen, sondern bei Karstadt am Hermannplatz, wäre es halt eine Neukölln-Soap.

Behrends und Tautorat ficht das wenig an. „Der Umstand, dass unsere Bühne im Wedding ist, hat damit zu tun, wie wir Theater machen. Das bedingt sich gegenseitig.“ Und zu kompliziertes Theater oder Hochkultur wollen die Weddinger nicht. Tautorat: „Mit Performance-Projekten und Videoinstallationen könnte man die Leute hier jagen.“

Neben ihren Produktionen engagieren sich die Bühnengründer für Jugendliche in ihrem Kiez. Mit Unterstützung vom Quartiersmanagement Soldiner Straße betreuen beide noch bis Ende Februar das Projekt „teens on stage“, in dessen Rahmen junge Leute einen Einblick in die Schauspielerei bekommen können. Ob dieser Plan weiter umgesetzt werden kann, hängt davon ab, ob das Prime Time Theater eine Spielstättenförderung vom Senat bekommt.

Nach einem Abend „rumzappen“ im Prime Time Theater wird deutlich: Wer keinen eigenen Fernseher hat, der kann sich seine wöchentliche Ration Berieselung hier holen. Mehr gibt es kaum. Eigentlich ist das schade: Denn die Idee, Leute anzusprechen, denen Fernsehen zu platt ist und Theater zu schwer, ist gut. Ein bisschen mehr Kopf wäre daher wünschenswert.

Vom 17. bis 20. 12. spielt das Prime Time das Weihnachtsspecial „Bettgeschichten – oder die Gesichter der Liebe“, jeweils um 20.15 Uhr, Osloer Straße 16. Tel.: (0 30) 49 90 79 58. Weitere Infos: www.primetimetheater.de