„Gewinner sind die Aldi-Brüder“
Rekord-Jackpot geknackt. Ein Interview mit dem Wahrheit-Lotto-Experten Fritz Tietz
Gestern morgen, kurz nach acht Uhr , war es so weit. Eine Sprecherin der Lotto GmbH Brandenburg gab gegenüber dpa bekannt, dass der Rekord-Jackpot geknackt worden sei. Zwei namentlich nicht genannte Gewinner aus Nordrhein-Westfalen teilen sich die Rekord-Gewinnsumme von 26,7 Millionen, hieß es. Lottoexperte Fritz Tietz bezweifelt das. Die Wahrheit rief ihn gestern morgen an.
az: Guten Morgen, Herr Tietz. Der höchste Jackpot der deutschen Lottogeschichte …
Fritz Tietz: Was ja schon mal nicht stimmt. Der höchste Jackpot der deutschen Geschichte wurde 1936 ausgespielt: 3,3 Milliarden Reichsmark. Er wurde bekanntlich von Adolf Hitler geknackt, der die zu ziehenden Zahlen per Geheimen Führererlass vorher selbst bestimmt hatte. Kein Wunder, dass er der Einzige war, der sechs Richtige hatte. Den Schmus mit der Zusatzzahl gab es ja damals noch nicht.
Weiß man, welche Zahlen Hitler ankreuzte?
Sie meinen wohl, welche er hakenkreuzte – denn das war ja von ’33 bis ’45 Vorschrift in Nazideutschland. Lottozahlen durften nur per Hakenkreuz gekennzeichnet werden. Wenn nicht, war der Schein ungültig. Das galt besonders für das Spiel 88, wie das Spiel 77 damals noch hieß.
Verstehe. 88. Der Zahlencode für „Heil Hitler“.
Genau.
Zurück in die Gegenwart. Der aktuelle Jackpot wurde gestern geknackt. Zwei unbekannte Spieler irgendwo in Nordrhein-Westfalen …
Was heißt hier „unbekannte Spieler irgendwo in Nordrhein-Westfalen“? Die Gewinner sind zwei Männer aus Essen, genauer: aus dem Essener Stadtteil Bredeney. Ihre Namen sind Karl und Theo Albrecht. Allgemein besser bekannt als die Aldi-Brüder.
Sie behaupten allen Ernstes, der Rekord-Jackpot ging in voller Höhe an zwei der reichsten Männer Deutschlands?
Beweisen Sie mir das Gegenteil!
Nun, äh …
Sehen Sie? Das können Sie nicht. Aber ungeprüft nachplappern, was die Lottogesellschaften bloß vage andeuten, das können Sie. Wie sämtliche anderen Medien auch. Ein Skandal ist das. Die gesamte deutsche Presse lässt sich von den Lottogesellschaften einspannen, ohne deren Meldungen zu verifizieren. Zwei unbekannte Spieler aus Nordrhein-Westfalen! Ich lach mich tot. Und in der DDR herrschte Reisefreiheit, oder was? Und ab morgen ist die Erde wieder eine Scheibe.
Was fordern Sie?
Dass die Lottoverantwortlichen, bitte schön, konkrete Angaben über diese Gewinner machen. Die sollen gefälligst ihre Namen nennen. Und ihre Adressen.
Was Sie nicht tun, um, wie sie sagen, die Anonymität der Gewinner zu wahren und sie vor Bittstellern und Betrügern zu schützen.
Ja, so lässt man sich da reichlich billig abspeisen. Sehr schlau. Die Geschichten über die beiden Rekordgewinner, die man in den nächsten Tagen wieder überall wird lesen können, sind samt und sonders von den Presseabteilungen der Lottogesellschaften erfunden. Die denken sich das bloß aus. Bin mal gespannt, was sie sich dieses Mal aus den Rippen geleiert haben, aber mit Sicherheit wird es sich bei den Gewinnern um zwei relativ gewöhnliche Normalos handeln, die mit relativ geringen Einsätzen von, sagen wir mal, 9, höchstens 21 Euros abräumten. So wollen sie uns signalisieren, dass wir auch dieses Mal alle eine Chance hatten und uns dazu bringen, unser Geld weiterhin in die Lottoannahmestellen zu tragen. Dabei könnten wir es genauso gut in den nächsten Gully schmeißen. Oder um bei der aktuellen Ziehung zu bleiben: es direkt in der nächsten Aldi-Filiale abgeben, für den Herren Albrecht.
Sie bleiben also dabei: Gewinner des höchsten Jackpots der deutschen Nachkriegsgeschichte sind die Aldi-Brüder.
Absolut.
Aber hatten Sie als unser Lottoexperte nicht am Mittwoch prophezeit, dass diesmal garantiert die Zahlen 9, 11, 26, 38, 40 und 41 gewinnen würden? Und was war: Keine einzige dieser Zahlen wurde gezogen.
Darauf kann ich nur mit einer Gegenfrage antworten: Wohnen Sie in Nordrhein-Westfalen?
Nein, in Berlin.
Na also.
Das verstehe ich jetzt nicht.
Dann denken Sie mal darüber nach.
Wissen Sie was? Ich glaube, Sie sind überhaupt kein richtiger Lottoexperte.
Ach, verschonen Sie mich bitte mit Ihrem Glauben. Wir sind doch hier nicht in der Kirche.
Und wissen Sie noch was? Ich rufe jetzt bei den Albrechts in Essen an und frage sie persönlich, ob sie tatsächlich die Jackpot-Knacker sind.
Das können Sie sich sparen. Sie werden es selbstverständlich abstreiten.
INTERVIEW: DIE WAHRHEIT
