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Archiv-Artikel

Machen wir zu viel Aufhebens um Kinder?

Pro

Ja, wir machen zu viel Aufhebens um Kinder. Wobei es wie sonst auch zu differenzieren gilt: Wir machen zu viel Aufhebens um Kinder in ihrer gesellschaftlichen, nicht ihrer persönlichen Rolle. Wir machen also ein wahnsinniges Aufhebens um die Kinder, die einmal unsere Rente zahlen sollen. In dieser Funktion sind sie ein volkswirtschaftliches Kapital, das nicht genug subventioniert werden kann. Denn die Annahme geht dahin, dass sich das Kind ganz naturwüchsig zum zukünftigen Beitragszahler entwickelt. Dass es sich dann womöglich doch nur als der zukünftige Arbeitslose entpuppt, weil wir ihm völlig unzureichende Bildungschancen zumuten – darum machen wir entsprechend kaum Aufhebens.

Viel zu viel Aufhebens machen wir im Übrigen auch um die Mütter, allerdings auch nur in ihrer Rolle als langlebiges Investitionsgut des Staates, das sich, in dem es für Nachwuchs sorgte, schon rentiert hat. Frauen sind nur als Mütter interessant, und besonders interessant sind sie als Mütter mit höherem Bildungsabschluss. Freilich ist dieser Bildungsabschluss für die Volkswirtschaft nicht Ausdruck persönlicher Leistungsfähigkeit, sondern er gilt als genetische Anlage, die dann für hochwertige Kinder sorgt, um die wir ein riesiges Tamtam machen. Schließlich ersparen sie uns Investitionen in die Bildung.

Kaum Aufhebens machen wir – aus sehr durchschaubaren Gründen – um die Väter. Väter sind wiederum nur als Männer interessant und als solche Leistungs- und nicht Genträger. Dass Akademiker zu wenig Kinder in die Welt setzen, ist jedenfalls kein Thema, um das viel Geschrei gemacht wird. Die hier allein verantwortlichen Akademikerinnen sind sich wie die anderen Mütter nicht zu blöd, dieses abgekartete Spiel mitzuspielen. Denn das Getue um die Kinder verspricht wenigstens ein Stück Kontrolle – über die Erwachsenen. Schließlich kann man denen mit dem Argument kindersicher und kindergerecht das Leben ganz schön vermiesen. Wo alles kindergerecht ist, kann und darf niemand mehr erwachsen sein. Das ist praktisch, denn wo keine Erwachsenen sind, gibt es auch keine Notwendigkeit politischer Verantwortung. Kinder machen keine Politik. Leider.

BRIGITTE WERNEBURG IST TAZ-KULTURREDAKTEURIN

Contra

Absolut nein. Zumindest nicht dem empirischen Befund nach. War nicht vor einem halben Jahr noch die Rede von Kinderarmut? Ist nicht eben erst ein Bericht über den steigenden Alkoholmissbrauch von Jugendlichen erschienen, der klar macht, dass Vernachlässigung ein brennendes Thema ist? Streiken nicht gerade Erzieherinnen aufgrund ihrer miserablen Bezahlung? Hört man nicht immer wieder von der Unterfinanzierung vieler Institutionen, von Bildungsmisere, wachsendem Analphabetismus und der Ausgrenzung ganzer Milieus? Wohne ich etwa nicht in einem Stadtteil mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit unter Migrantenkindern?

Angesichts dieser Tatsachen weiß ich nicht, warum die Rede von der vermeintlich neuen Kinderflut dank Elterngeld so euphorisch stimmen soll, aber wahrscheinlich, weil es hier um die Vermehrung deutschstämmiger Mittelklassekids geht. Denn wenn es heißt: Kinder sind ein Armutsrisiko, sie sind ein Scheidungsrisiko und am Ende ein Gesundheitsrisiko, dann fragt sich immer noch, für wen.

Dazu wächst eine steigende Zahl Kinder bei einem alleinerziehenden Elternteil auf, meist bei den Müttern – die Realität ist doch nach wie vor so: Die Widersprüche dieser patriarchalen Gesellschaft werden nach wie vor auf dem Buckel von Frauen und Kindern ausgetragen. Darum gilt es sich nach wie vor zu kümmern, aber das wäre ja eine politische Frage, zudem eine, die heute wohl nicht mehr en vogue ist. En vogue soll es jedoch sein, Kinder zu kriegen, höre ich. Ja, es ist heute nahezu hip – zum Beispiel bei Hollywoodstars. Über die Kinder von Brad Pitt und Angela Jolie wird tatsächlich viel zu viel Gedöns gemacht. Doch auch sonst ist die Rede von Kindern als Mittelklassestatussymbol eher Teil des allgemeinen Restaurationsprojekts, also ideologisch zu verstehen, und wie alle Ideologie hat es nur bedingt mit der Realität zu tun. Etwas anderes wäre es, würde sich die öffentliche Rhetorik mal der Infantilisierung der Gesellschaft zuwenden – all den regressiven Tendenzen, die mehr und mehr zu bemerken sind, ob im ICE oder auf sogenannten Fan- und Fun-Meilen. Diese zu untersuchen wäre ein lohnendes Projekt.

KATHRIN RÖGGLA, SCHRIFTSTELLERIN