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Archiv-Artikel

Wem der Himmel auf den Kopf gefallen ist

INDIE-MUSETTE Babylon Circus aus Lyon feiert mit der CD „La belle étoile“ seine Rückkehr ins Leben

VON ANNA-BIANCA KRAUSE

Beinahe wäre Babylon Circus, die Band aus Lyon, nach zwölf Jahren nur noch eine Erinnerung gewesen. Am 13. April 2007 rutschte David Baruchel, einer der beiden Gründer und Sänger, nach einem Auftritt in Moskau auf einer Metalltreppe aus. Er wollte sich Zigaretten aus der Garderobe holen und landete dabei zuerst auf dem Kopf, und dann mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation.

Als er nach zwölf Tagen im Koma endlich wieder aufwachte, konnte er nicht mehr Französisch sprechen und litt unter epileptischen Anfällen. „Ich bin nicht abergläubisch, aber an diesem Freitag, dem 13., werde ich mich mein ganzes Leben lang erinnern. Ich war in einer völlig anderen Welt und wurde etwas verrückt, weil auch die Region meines Gehirns, die für das Gefühlsleben zuständig ist, verletzt war.“

Manuel Nectoux holte ihn zurück ins Leben. Der frühere Schlagzeuger, der sich zur zweiten Stimme der Band entwickelt hat, zerrte den Freund nur drei Monate nach dem Unfall – gegen den Rat der Ärzte – auf die Bühne. Er kennt David seit 17 Jahren, gemeinsam haben sie Babylon Circus aus der Taufe gehoben. „Wir hatten ein Konzert im Central Park in New York und ich habe gesagt: Auf, das war’s, komm wieder auf die Bühne!“ David tat, was Manu verlangte, der Rest ist Geschichte.

Nun ist das Narrenschiff, wie man auf dem Cover der CD sehen kann, wieder unterwegs. Das Nahtoderlebnis hat jedoch einiges verändert. Früher war Babylon Circus eher eine Live-Band, berühmt für ihre tumultartigen Bühnenshows, die diese Ska-Reggae-Gaukler mit den dicken Bläsersätzen durch 25 Länder führte. Auf „La belle étoile“ zeigen sie nun, dass sie auch auf Albumlänge überzeugen können. Die musikalischen Zutaten sind zwar immer noch Rock, Ska, Chanson, Reggae. Doch das Mischungsverhältnis hat sich verändert – vom Indie-Rock zum Indie-Chanson, vom Ska zur Musette. Manchmal klingt das sogar „très Piaf“, wie etwa bei „Marions-nous au soleil“ oder „La cigarette“. Letzteres ist eine Hommage an Davids Onkel, den Poeten Jean Claude Brumaud, der ihm den Vater ersetzte, denn dieser war ein Kleinkrimineller, der die meiste Zeit im Knast verbrachte. „Jeder Song auf diesem Album ist ein Song, der uns ins Leben zurückgeholt hat. Wir mussten Songs schreiben, um zu überleben. Deshalb sind es auch viele Liebeslieder geworden.“

Die Texte, früher oft eindeutig politisch, erzählen heute vom Alltag, von Zwischenmenschlichem und Zwischen-Mann-Fraulichem. Statt eines „grève générale“ (Generalstreik) fordert David jetzt einen „rêve général“, einen „gemeinsamen Traum“. Er hat die Arme weit geöffnet und viele Kollegen eingeladen, darunter R-Wan, den Rapper der französischen Band Java („L’envol“), die Sängerin Karina Zeviani oder Mickael Furnon von der Rockband Mickey 3D. David singt die französischen Parts, Manu die englischsprachigen Zeilen, und nur selten liegen sich die beiden Sprachen so selig in den Armen wie bei Babylon Circus. Noch seltener sind Stimmungen und Zustände so greif- und fühlbar wie in den zwölf neuen Chansons und den wunderbar surrealen Bildern, die darin mit Worten gemalt werden: „Der Himmel ist mir auf den Kopf gefallen, jetzt dient er mir als Mütze.“

Mit „La belle étoile“ ist Babylon Circus auf dem Weg zum ganz großen Publikum.

■ Babylon Circus: „La belle étoile“ (Skycap/Rough Trade)