: STAATSBESUCHDie unbequemen Themen
Zwei Herren halten Hof: Heute und morgen treffen sich der russische Präsident Wladimir Putin und Kanzler Schröder in Hamburg und auf Schloss Gottorf
Das aktuellste unter den heiklen Themen zwischen Putin und Schröder ist die gestrige Zwangsversteigerung der russischen Ölfirma Juganskneftegas, der wichtigsten Tochterfirma des Ölkonzerns Yukos. Die Versteigerung wurde vollzogen, nachdem russische Behörden dem Konzern Steuerhinterziehung vorgeworfen hatten. Westliche Beobachter dagegen kritisieren, dass der Kreml vor allem aus politischen Gründen gegen den Ölkonzern Yukos vorgegangen sei: Der frühere Yukos-Chef Chodorkowski soll politische Gegner Putins unterstützt haben. Das Ziel des Kreml war nun, die Energiewirtschaft unter seine Kontrolle zu bringen. Überraschend dabei: Nicht der staatseigene Konzern Gasprom, sondern eine bislang unbekannte Baikalfinanzgruppe erhielt bei der gestrigen Versteigerung den Zuschlag. Indirekt sind auch deutsche Firmen in die prekäre Angelegenheit involviert. E.ON ist mit gut sechs Prozent an Gasprom beteiligt. Die Deutsche Bank berät Gasprom beim Einstieg ins Ölgeschäft. Zugleich ist Russland der wichtigste Energielieferant Deutschlands, und für Gerhard Schröder hat die Energiesicherheit Priorität. Was kritische Schröder-Worte in Richtung Tschetschenien-Konflikt, Wahlen in der Ukraine oder Beschneidung demokratischer Rechte nach dem Geiseldrama in Beslan unwahrscheinlich macht. kli/dpa
Das Polizeiaufgebot
Norddeutschland wird während des Putin-Besuchs einem Hochsicherheitstrakt gleichkommen. „Für die gesamte Polizei herrscht hohe Alarmbereitschaft“, sagt Hamburgs Polizeisprecher Ralf Meyer. Dass vor der Fahrt der Wagenkolonne durch die Stadt die Kanalschächte auf eventuell versteckte Sprengsätze kontrolliert würden, gehöre inzwischen zum „Standard-Ritual“ bei allen Staatsbesuchen. Genauere Zahlen über die eingesetzten Beamten von Polizei, Bundeskriminalamt und Staatsschutz würden jedoch aus Sicherheitsgründen nicht genannt. Für die Zeit des Besuchs ist die Gegend rund um das Rathaus sowie zahlreiche andere Straßen in der Innenstadt abgeriegelt. Der Weihnachtsmarkt auf dem Rathausmarkt soll entgegen anders lautenden Gerüchten für die Zeit des Besuchs nicht geschlossen werden. Eine Stippvisite Putins an den Glühweinständen ist zumindest offiziell aber auch nicht vorgesehen.
In Schleswig-Holstein werden etwa 1.000 Polizisten die Gipfelteilnehmer beschützen. Bereits heute werden die Sicherheitskräfte die gesamte Gottorfer Schlossinsel einschließlich des eiskalten Burgsees Meter für Meter absuchen. Dafür werden Polizeitaucher und Hunde eingesetzt. jox/dpa
Die Speisekarte
Putin und der Bundeskanzler haben sich zum Abendessen im Restaurant „Deichgraf“ anmelden lassen, einem Hamburger „Traditions-Restaurant“ mitten in der Altstadt. Der 28-jährige Küchenchef Thies Conle erhebt den Anspruch, „eine norddeutsche Küche kreativ zu gestalten und dennoch den hanseatischen Einschlag zu kultivieren“. Auf der Speisekarte stehen dort unter anderem Hamburger Pannfisch mit Senfsauce und Bratkartoffeln (16,50 Euro) oder Hirschkalb im Strudelblatt auf Rotkohl, Maronen und Schupfnudeln (19 Euro). „Es gibt nichts, was nicht geht“, gibt das „Deichgraf“ als Philosophie und Mechanik seiner Küche an. Ob das auch für des Kanzlers geliebte Currywurst zutrifft? Das Menü, das sich Putin und Schröder am Dienstag im Hirschsaal von Schloss Gottorf einverleiben werden, blieb bislang streng geheim. „Laut Auswärtigem Amt dürfen wir aus Sicherheitsgründen nichts sagen“, so die verantwortliche Küche vom Hotel „Waldschlösschen“. jox
Das Programm
Im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Putin und Schröder bei dieser mittlerweile siebten Regierungskonsultation stehen laut Bundespresseamt – Überraschung! – „die deutsch-russischen Beziehungen sowie Fragen der europäischen und internationalen Politik“. Das Treffen war bereits für September geplant gewesen, wurde damals aber wegen des Geiseldramas in Beslan kurzfristig abgesagt. Putin soll heute um 17 Uhr mit seiner Präsidentenmaschine auf dem Hamburger Flughafen landen, wo ihn Schröder empfangen wird. Anschließend rauschen beide per Wagenkolonne in ihr Nachtquartier, das Hotel Atlantic an der Außenalster. Im „Holländischen Zimmer“ des Hotels sprechen Putin und Schröder unter vier Augen, ehe es mit Sirene und Blaulicht ins Hamburger Rathaus geht. Dort wird sich der russische Präsident ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Der Tag endet im Restaurant „Deichgraf“.
Morgen früh um 8.45 Uhr fahren Schröder und Putin vom Bahnhof Dammtor aus mit einem ICE-Sonderzug nach Schleswig – von dort aus geht es weiter zum Schloss Gottorf. Vor dem Schloss gibt’s eine Begrüßung mit militärischen Ehren und Händeschütteln mit Ministerpräsidentin Heide Simonis. Es folgen eine „Plenarsitzung“, das „Familienfoto“ im Schlosshof und eine Pressekonferenz. Außerdem wollen die Staatsmänner ein deutsch-russisches Abkommen über jugendpolitische Zusammenarbeit unterzeichnen. jox
Die Gegendemonstrationen
Eine Gruppe tschetschenischer Flüchtlinge aus Schleswig-Holstein hat für Dienstag in Schleswig zu einer Mahnwache aufgerufen. An der Ecke Lollfuß/Flensburger Straße wollen sie für das Ende des Krieges in ihrer Heimat eintreten. „Die Gräueltaten des Krieges und die daraus entstandene Gewaltspirale von Terror und Vergeltung wird voraussichtlich kein Thema sein in Schleswig“, schreiben die Initiatoren auf einem Flugblatt. Und: „Wir können diese stillschweigende Zustimmung für das Morden im Kaukasus nicht verstehen.“ Weit über 100.000 Zivilisten seien dem Krieg bereits zum Opfer gefallen, mehr als 250.000 Flüchtlinge hätten ihre Heimat verlassen müssen. „Wir wären sehr stolz auf Frau Simonis, wenn sie dem ‚Zaren‘ Putin deutlich zeigen würde, wie verabscheuenswürdig seine menschenverachtende Tschetschenienpolitik ist“, heißt es weiter. Auch während der Putin-Stippvisite in Hamburg ist eine Mahnwache geplant. Amnesty International will heute von 16 bis 20 Uhr vor der Petri-Kirche in der Mönckebergstraße gegen Menschenrechtsverletzungen in Russland und Tschetschenien demonstrieren. jox/dpa
Die verwehrte Ehrendoktorwürde
Eine geplante Auszeichnung Putins mit der Ehrendoktorwürde der Hamburger Universität findet nun doch nicht statt. Während der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Putin mit der Verleihung gerne „für seine Verdienste für die wirtschaftliche Stabilisierung in Russland als Grundlage jeder weiter gehenden gesellschaftlichen Konsolidierung“ danken wollte, hatten über 50 Hamburger Professoren eine Protestresolution des renommierten Politologen Michael Th. Greven gegen die Ehrung unterzeichnet. „Russland entwickelt sich immer mehr zu einem autokratischen Staat“, so Greven. Putin verantworte, dass Russland „in einen in völkerrechtswidriger Weise geführten Krieg in Tschetschenien verwickelt bleibt, der ungeeignet ist, zur regionalen Stabilisierung beizutragen“. Auch die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ hatte zum „Widerstand“ gegen die Ehrung Putins aufgerufen. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi dagegen hatte eine Auszeichnung Putins für „selbstverständlich“ angesehen. Er fand es „unmöglich, dass einige Moralisten einen Hamburger Skandal inszenieren“ wollten. jox