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Archiv-Artikel

Kinderglück unter Rädern

SPD und GAL wollen Kinderhort verlagern. Vor- und Grundschüler aus der Schanze müssen jetzt über die „Todespiste“ Stresemannstraße

Von Marco Carini

Schlimmer geht‘s nimmer: Um 1.000 Euro monatlich an Miete zu sparen, wollen SPD und GAL im Bezirk Mitte einen Kindertreff aus dem Schanzenviertel ins an der Schilleroper gelegene Haus der Jugend St. Pauli verlagern. Besonderer Clou des Sparplans: Die zum Teil erst fünf- oder sechsjährigen Kinder, die das „Kinderglück“ heute besuchen, müssen dann täglich „Deutschlands gefährlichste Piste“ (Bild), die Stresemannstraße, überqueren.

Von Kinderhand beschriebene Plakate zieren den Zaun des Kindertreffs an der Beckstraße, Ecke Sternstraße. „Ich habe Angst, weil das weit ist“, steht darauf zu lesen und: „Kinderglück soll nicht wek gehen!“ Jeden Tag besuchen nach der (Vor-)Schule rund 50 Kinder die Einrichtung, die vor über 20 Jahren von einer Elterninitiative gegründet wurde. Die jüngsten sind fünf, die ältesten 15 Jahre. Und die meisten kommen allein, weil auch die Jüngsten die einspurige Sternstraße schon ohne elterlichen Beistand überqueren können.

Etwa die Hälfte der Kinder, die sich hier einfinden, besuchen die nahe gelegenen Schulen in der Ludwig- und in der Laeizstraße; beide nur ein Katzensprung entfernt. Doch damit soll spätestens Mitte des kommenden Jahres endgültig Schluss sein.

Da in dem abgewirtschafteten Haus der Jugend (HdJ) Räume frei werden, sollen das Kinderglück und die Jugendzentrum „KIZ“ aus der nahe gelegenen Bartelsstraße (Schanzenviertel) in das „Helmut-Hübener-Haus“ (Bei der Schilleroper 15) umziehen. In dem Gebäude, das nicht einmal über ein kindergerechtes Außengelände verfügt, soll unter neuer Trägerschaft mit neuem Konzept aus den drei Einrichtungen ein neuer Treff für Kinder und Jugendliche entstehen. Von Synergieeffekten ist die Rede.

Obwohl das neue Konzept noch nicht einmal in Umrissen existiert, beschloss die rot-grüne Mehrheit im bezirklichen Jugendausschuss Anfang Dezember: Das Kinderglück muss umziehen, damit die Miete für den rund 100 Quadratmeter großen Kindertreff zukünftig eingespart werden kann. Insgesamt hofft der Bezirk durch die Zusammenlegung der drei Einrichtungen pro Jahr 45.000 Euro weniger auszugeben. „Die Alternative wäre, eine Jugendeinrichtung ganz zu schließen“, begründet der Sprecher des Bezirksamtes, Gerthold Roch, den Beschluss.

Die Schulleitung der Ludwigstraße und der Sanierungsbeirat Karolinenviertel protestierten gegen den erst im November bekannt gewordenen Plan; innerhalb weniger Tage sammelten besorgte Eltern über 2.000 Unterschriften gegen die Kinderglück-Verlegung. Sie alle warnten vor den „erheblichen Gefahren“, die die Überquerung der gerade im Bereich des Neuen Pferdemarkts bis zu acht Spuren ausgebauten Piste für die Kinder bedeutet. Bereits mehrfach kamen auf der Stresemannstraße Fußgänger und Radfahrer zu Tode, darunter im August 1991 die neunjährige Nicola.

Doch diese Gefahr kann die bezirklichen Sparkommissare vom Jugenddezernat, von SPD und GAL nicht schrecken. Bezirkssprecher Gerthold Roch spricht von einem „vertretbaren“ Risiko für die Schulkinder. Roch wörtlich: „Wir hoffen, das nicht noch mal so etwas passiert, wie bei Nicola.“

Die Chancen, dass dieser fromme Wunsch in Erfüllung geht, könnten demnächst noch geschmälert werden: Nach unbestätigten Informationen aus der Baubehörde wird in den Amtsstuben derzeit mal wieder darüber nachgedacht, die Tempo 30-Regelung auf der Stresemannstraße zu lockern.