: „DFB hat Nachholbedarf“
Im taz-Interview erklärt der thailändische Nationaltrainer Siegfried Held, warum Michael Ballack und Kollegen in Thailand kaum bekannt sind. Heute ab 12.30 Uhr (live in der ARD) könnte sich das ändern
INTERVIEW CHRISTIAN BLITZ
taz: Herr Held, gegen Japan und Südkorea spielte die deutsche Nationalmannschaft jeweils in einem seit Wochen ausverkauften Stadion. Der Karten-Vorverkauf in Bangkok hingegen hatte sich wegen des geringen Zuschauerinteresses erübrigt. Welchen Stellenwert hat die Begegnung mit dem Vizeweltmeister in der thailändischen Öffentlichkeit?
Siegfried Held: Im Gegensatz zu den sehr niedrigen Zuschauerzahlen bei Ligaspielen ist das Interesse an fußballerischen Großereignissen normalerweise schon sehr hoch. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass die Straßen in Bangkok von Trikots der großen englischen Vereine regiert werden, das Konterfei von David Beckham sieht man hier an jeder zweiten Straßenecke, und im Fernsehen wirst du mit Spielen der Premier League zugeschüttet. Hinzu kommt, dass auch die Asienreisen von Brasilien und Real Madrid deutliche Spuren hinterlassen haben. Im Vergleich dazu sind die Spieler der deutschen Nationalmannschaft nahezu unbekannt.
Dann war die Asienreise des DFB, die ja auch Promotionzwecken dienen soll, wohl dringend notwendig?
Unter rein kommerziellen Gesichtspunkten betrachtet, kann man das so sehen. Die Engländer haben hier ja ab Mitte der 90er-Jahre eine Imagekampagne gestartet, die man bis dahin in diesem Ausmaß gar nicht kannte. Ich habe 1995 schon einmal in Japan gearbeitet, und da waren, wie in den anderen asiatischen Ländern auch, Namen wie Rummenigge, Klinsmann oder Matthäus noch unglaublich präsent. Heute lieben die Thais Manchester United und den FC Liverpool, und vergöttern Spieler wie Ronaldo oder Zidane. Oliver Kahn oder Michael Ballack sind durch die WM vielleicht in Japan und Südkorea bekannt, hier hingegen spielen sie kaum eine Rolle. Was das angeht, hat der DFB in Thailand deutlichen Nachholbedarf.
Zumindest einem der früheren Big Names des deutschen Fußballs begegnen Sie am Dienstag, wenn auch nur auf der Trainerbank. Was halten Sie von der Berufung Jürgen Klinsmanns zum Bundestrainer?
Ich lese hier regelmäßig deutsche Zeitungen, und dem, was da so geschrieben steht, lässt sich aus der Ferne nicht viel hinzufügen. Die deutsche Mannschaft ist erfolgreich, sie zeigt einen ansehnlichen Offensivfußball und auch die Integration junger Spieler scheint zu funktionieren. Da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch DFB. Und herzlichen Glückwunsch Jürgen Klinsmann.
Ihr Team besteht aus vielen jungen und entsprechend unerfahrenen Spielern. Muss Ihr Team ein Debakel erwarten?
Das 3:0 der Deutschen gegen Asienmeister Japan hat mich in zweierlei Hinsicht sehr gefreut. Zum einen ist es für mich schön zu sehen, wie der deutsche Fußball zur alten Stärke zurückfindet. Zum anderen erwartet hier jetzt keiner mehr irgendwelche Wunderdinge von uns. Das nimmt meiner jungen Mannschaft eine unglaubliche Last von den Schultern. Ich hoffe natürlich, dass die Truppe nicht komplett unter die Räder kommt. Eine engagierte und konzentrierte Leistung mit dem Ergebnis einer moderaten Niederlage, das wäre für mich schon ein großer Erfolg. Man darf schließlich nicht vergessen, dass hier Amateure und Halbprofis gegen eine der besten Nationalmannschaften der Welt antreten.
Immerhin haben drei Spieler Ihres Verbandes die Einladung zu einem neunmonatigen Probetraining beim FC Everton in der Premier League erhalten.
Ja, aber das darf man nicht überbewerten. Zum einen ist es ein offenes Geheimnis, dass asiatische Spieler oftmals verpflichtet werden, um den Verein in Asien besser vermarkten zu können. Die Präsenz auf dem Mannschaftsfoto sagt also nicht allzu viel über die wirkliche Stärke des Spielers aus. Zum anderen kommen auf die sehr jungen Männer jetzt Probleme der kulturellen Anpassung zu. Daran sind schon ganze Heerscharen europäischer Jungprofis innerhalb ihres eigenen Kontinents gescheitert. Deshalb warte ich erst mal ab. Auf meinem Zettel hab ich die drei jedenfalls vorerst noch nicht.
Dettmar Kramer trainierte 1964 die japanische Olympiaauswahl und gilt seither als „Vater des japanischen Fußballs“ und geistiger Grundsteinleger der J-League. Ist für Sie in Thailand Ähnliches möglich?
Das lässt sich nicht miteinander vergleichen. Dettmar Kramer war damals der erste europäische Trainer in Japan. Der wurde wie ein Guru behandelt und fand mit seinen modernen Trainingsmethoden bei den sehr wissbegierigen Japanern ein fruchtbares Feld. Heute hingegen findet auch zwischen den Kontinenten ein permanenter Wissensaustausch statt, Reformen fallen dementsprechend weniger radikal aus. Außerdem sind die Nationalmannschaften der meisten fußballerischen Entwicklungsländer heute bereits durch die Hände mehrerer ausländischer Trainer gegangen. In Thailand waren es, eingerechnet meiner Person, in den letzten Monaten alleine drei. Meine Chancen, später einmal als „Vater des thailändischen Fußballs“ bezeichnet zu werden, sind also denkbar gering.
Wie sehr fehlt Ihnen eine Profiliga als Basis für eine erfolgreiche Nationalmannschaft?
Die athletischen Grundvoraussetzungen der Spieler werden ganz klar in den Vereinen gelegt. Auch die konzentrierte Ausübung des Berufs des Fußballspielers ist nur mit einer „Vollbeschäftigung“ garantiert. Ohne den finanziellen Anreiz gibt es keinen Profifußball und ohne heimischen Profifußball werden sie auch nicht genügend Spieler für eine Nationalmannschaft finden. Für den Aufbau einer thailändischen Profiliga gibt es aber bereits konkrete Pläne. Da wird sich in den nächsten Jahren einiges bewegen.
Sie galten in Deutschland stets als Schweiger. Sind Sie für die Zusammenarbeit mit den als sehr zurückhaltend geltenden Thais somit besonders prädestiniert ?
Die gesellschaftlichen Konventionen in Thailand kommen meinem eher ruhigen Gemüt schon sehr entgegen. Ein Trainer, der einen zu engen Kontakt zur Presse pflegt und dazu vielleicht noch ein cholerisches Temperament besitzt, hätte es in Thailand schwer.
Mit welchen Worten werden Sie Ihre Mannschaft gegen Deutschland auf den Rasen schicken?
Haltet die Deutschen so weit wie möglich vom Strafraum entfernt. Achtet auf ihre Kopfballstärke und schaut euch ansonsten an, wie man professionell Fußball spielt.