: Wieder keine Nullrunde für Kabeljau
Heute und morgen tagt in Brüssel der EU-Fischereirat. Das seit Jahren geforderte Fangverbot für den Nordseekabeljau wird es wohl wieder nicht geben. Greenpeace fordert eine rechtlich verbindliche europäische Meeresstrategie
BERLIN taz ■ Stoppt den Kabeljaufang in der Nordsee. So lautet der eindringliche Appell des Internationalen Rates für die Erforschung der Meere (ICES) an die europäischen Fischereiminister. Die rund 1.600 Wissenschaftler aus 19 Ländern fordern die Regierungen seit Jahren dazu auf, die Fischerei stark einzuschränken und endlich Nullquoten für bestimmte Arten wie den Kabeljau einzuführen.
Wenn heute und morgen der EU-Fischereirat in Brüssel tagt, will sich Bundesagrarministerin Renate Künast (Grüne) dafür einsetzen, die „Fangquoten auf der Basis wissenschaftlicher Empfehlungen festzusetzen“.
Denn den Meeren geht es schlecht: In den letzten drei Jahrzehnten ist die Menge an fortpflanzungsfähigem Kabeljau um rund 90 Prozent zurückgegangen, schätzt die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Auch die Bestände von Seezunge, Wittling und Scholle in der Nordsee sowie Dorsch in der Ostsee sind stark bedroht. Schuld ist der kommerzielle Fischfang. Technisch hochgerüstete Fischereischiffe fangen in riesigen Netzen alles weg, was sich zwischen Meeresboden und Oberfläche bewegt. Neben den Speisefischen landen jedes Jahr allein in der Nordsee mehr als 700.000 Tonnen anderer Meerestiere in den Netzen. Dieser so genannte Beifang wird anschließend tot oder schwer verletzt zurück ins Meer geworfen.
Trotz der eindringlichen Warnung der Wissenschaftler befürchtet Thilo Maack, Fischereiexperte bei Greenpeace, dass sich die EU-Minister auch für das kommende Jahr wieder auf die bisherige Fangquote von 27.000 Tonnen Nordseekabeljau einigen werden. Rechne man den Beifang dazu, würden 2005 wieder rund 70.000 Tonnen Kabeljau aus der Nordsee geholt werden, schätzt Maack.
Auch Renate Künast ist wenig optimistisch: „Ich fürchte, es wird extrem schwierig, die Fangquote für den Nordseekabeljau zu reduzieren“, sagte sie der taz. „Daher müssen wir sicherstellen, dass zumindest die bestehenden Quoten eingehalten werden.“ Die Ministerin will dazu den Beifang und die illegalen Anlandungen schärfer kontrollieren und sich außerdem für die Ausweisung von Schutzgebieten einsetzen, in denen sich die Bestände erholen können. Das liege auch im Interesse der Fischer. „Leider findet die Idee wenig Gegenliebe bei den anderen Mitgliedstaaten“, bedauert Künast.
Meeresbiologe Maack kritisiert die Praxis im EU-Fischereirat als ein „Geschacher um Quoten“ und fordert die Politik auf, den Blick stärker auf das gesamte Ökosystem Meer zu richten.
In diese Richtung geht ein Bericht der EU-Umweltkommission zur europäischen Meeresstrategie, der bereits gestern vor dem Rat der europäischen Umweltminister vorgestellt wurde. In dem Papier wird empfohlen, die verschiedenen Meeresgesetzgebungen zusammenzuführen. Denn das Meer leidet auch unter Schifffahrt, Ölförderung, Tourismus und Rückständen aus der Landwirtschaft.
Greenpeace hat die gestrige Sitzung mit einer Protestaktion begleitet. Mit rund 11.000 toten Meerestieren vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel wollten die Umweltschützer auf die Missstände bei der europäischen Fischerei aufmerksam machen. Außerdem forderten sie die Umweltminister dazu auf, nicht nur der Ausgestaltung einer europäischen Meeresstrategie zuzustimmen, sondern diese auch durch legal verbindliche Rechtsinstrumente, klare Zeithorizonte und messbare Zwischenziele zu untermauern. MAREIKE WELKE