piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Tabubruch des Polizisten Daschner hat bleibende Folgen

In Politik und Wissenschaft gibt es heute eine erschreckend breite Diskussion über die Frage, ob der Einsatz von Folter nicht in Ausnahmefällen zulässig sein kann

FREIBURG taz ■ „Dieses Urteil schafft Rechtssicherheit für die Polizei“, lobt die Polizeigewerkschaft GdP die Entscheidung im Fall Daschner. Erstaunlich. Wussten deutsche Polizisten bisher nicht, dass Folter verboten ist?

Kaum eine andere rechtsstaatliche Vorschrift ist lückenloser im Recht verankert wie das Folterverbot. Über die UN-Konvention gegen Folter, die Europäische Menschenrechtskonvention, das Grundgesetz bis hin zur Strafprozessordnung ist klipp und klar festgestellt, dass der Staat niemand Schmerzen zufügen darf, um eine Aussage zu erzwingen. Weder für tragische Einzelfälle noch für Krieg und Terrorismus sind Ausnahmen vorgesehen.

Und dennoch ist die Erklärung der GdP verständlich. Immerhin hat es, nachdem Daschners Vorgehen bekannt wurde, in Deutschland eine bemerkenswerte Diskussion um die Zulässigkeit von Folter gegeben. Da sagte die Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), es könne in bestimmten Fällen „ein rechtfertigender Notstand“ vorliegen. Der damalige Vorsitzende des Richterbunds Geert Mackenroth (CDU), heute Justizminister in Sachsen, erklärte: „Es sind Fälle vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein können.“ Mackenroth hat seine Äußerung inzwischen bedauert. Anders der SPD-Linke Oskar Lafontaine, der Freispruch für Daschner forderte, denn dieser habe „nach elementarsten sittlichen Geboten unseres Rechtsstaats gehandelt“.

Selbst in der Rechtswissenschaft gibt es eine lebhafte Diskussion. Der Heidelberger Staatsrechtler Winfried Brugger hat sich schon seit einigen Jahren dafür eingesetzt, die staatliche Schutzpflicht für das Leben höher anzusetzen als das Folterverbot. Bedenklich ist dies vor allem, weil Folter stets eine unmittelbare Verletzung der Menschenwürde darstellt, die nach dem Grundgesetz „unantastbar“ ist. Doch auch diese Gewissheit ist nicht mehr unumstößlich. Im renommierten Grundgesetz-Kommentar Maunz-Dürig schreibt der Bonner Professor Matthias Herdegen, „dass die Androhung oder Zufügung körperlichen Übels wegen der auf Lebensrettung gerichteten Finalität eben nicht den Würdeanspruch verletzt“. So wird plötzlich die Menschenwürde doch ein Rechtsgut unter vielen. Ähnliches ist im Grundgesetzkommentar von Bleibtrau/Klein und im Strafrechtskommentar des Tübinger Professors Kristian Kühl zu lesen.

Die lange Liste aus Politik und Wissenschaft sollte zwar nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich immer noch um Mindermeinungen handelt. Doch die Diskussion über die Zulässigkeit von Folter ist kein Tabu mehr. Umso wichtiger war es, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Mai in der Zeit erklärte: „Für das Gericht und für mich persönlich gibt es nicht den Hauch eines Zweifels, dass der Schutz der Menschenwürde unverbrüchlich ist. Die Menschenwürde ist einer Relativierung, einer Einschränkung oder Abwägung mit anderen öffentlichen oder privaten Belangen nicht zugänglich.“

In Umfrageergebnissen hat sich dies allerdings nicht niedergeschlagen. Vor dem Daschner-Urteil ergab eine Meinungsumfrage im Auftrag des ZDF, dass 69 Prozent der Deutschen einen Freispruch für den Ex-Polizeivize begrüßen würden. Bei Straßenumfragen heißt es oft, die Menschenwürde von „so einem wie Gäfgen“ sei nicht unbedingt schützenswert. Damit wird aber das Wesen der Menschenwürde gründlich missverstanden, da diese jedem Einzelnen ohne Ansehen der Verdienste oder Verbrechen in vollem Umfang zukommen.

Dass die Stimmung in Deutschland nicht völlig gekippt ist, hängt möglicherweise auch mit den Medien zusammen, die Daschners Vorhaben überwiegend mit dem abschreckenden Begriff „Folter“ versahen, obwohl er und seine Anwälte sich stets dagegen verwahrten und nur von „unmittelbarem Zwang“ sprachen. Mag sein, dass der Folterbegriff auch einfach nur publikumswirksamer ist. In diesem Fall diente die Verkürzung durchaus der Verdeutlichung.

CHRISTIAN RATH