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Archiv-Artikel

„Sie sind jemand, nicht etwas“

Nicht nur zu Weihnachten machen Hamburger Tierrechtler mobil gegen Pelzproduktion und Tiertod. Immerhin erkämpften sie ein bundesweit einzigartiges Angebot: Einmal in der Woche bieten die Hamburger Uni-Mensen tierproduktfreies Essen an

„70,4 Prozent der Bundesbürger sprechen sich für ein Verbot von Pelztierfarmen aus“

von Volker Stahl

Nicht nur zur Weihnachtszeit protestieren die Hamburger „Tierrechts Aktion Nord“ (TAN) und das Bündnis „Offensive gegen die Pelzindustrie“ gegen den Verkauf von Tierfellen bei Peek & Cloppenburg. Seit zwei Jahren stehen immer im Dezember Aktivisten vor den Filialen des Modeunternehmens auch in zahlreichen anderen Städten – bislang ohne Erfolg.

Die Hansestadt ist eine Hochburg in diesem Kampf: Seit zwei Jahren vergeht kaum eine Woche ohne den lautstarken Protest von Tierfreunden vor der Tür des Bekleidungshauses an der Spitaler Straße. Dass der Kampf gegen den Tiertod für die Mode nicht aussichtslos ist, zeigt der infolge bundesweiter Kampagnen erfolgte Ausstieg von Karstadt und C&A aus dem Pelz-Geschäft.

Geändert hat das wenig: Immer noch vegetieren nach Informationen des Anti-Pelz-Bündnisses weltweit 34,4 Millionen Nerze in engen Käfigen dem Tod entgegen. Kürschner, rechnet die Kampagne vor, benötigen zur Herstellung eines Mantels 40 bis60 Nerze, 10 bis 15 Füchse und 130 bis 200 Chinchillas. Laut einer von der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ in Auftrag gegebenen Emnid-Umfrage sprechen sich mittlerweile indes 70,4 Prozent der Bundesbürger für ein Verbot der Pelztierfarmen aus, Tendenz steigend.

Anfang des Monats zogen rund 150 Demonstranten unter dem Motto „Den Schreien der Tiere Gehör verschaffen!“ durch Hamburgs City. „Eure Normalität zerstückelt Tiere im Akkord“ – mit solchen Transparenten verschreckten die Aktivisten manch konsumfreundlichen Einkaufsbummler. „Die Herstellung so genannter Pelzwaren ist mit einem hohen Maß an Grausamkeit verbunden“, so TAN-Sprecher Guido Zehl. „Nach einer Leidenszeit von einem halben Jahr erwartet die Tiere ein qualvoller Tod durch Stromschlag, Giftspritze oder in der Vergasungsbox.“

Und sterben auch jährlich Milliarden von Tieren in Schlachthöfen, Vivisektionslabors, durch Jägerhand oder in Pelzfarmen: Das Engagement für die entrechtete Kreatur ist nicht immer vergeblich. So erklärte jetzt der Chefkoch der Hamburger Mensen, dass die Studentenküche im kommenden Jahr einmal wöchentlich veganes Essen kredenzt – ein bundesweit einmaliges Angebot. Der Probelauf fand während der vom AStA organisierten Tierrechtswoche Ende November statt. „Weil Soja-Bolognese und Seitan-Schnitzel bei dem studentischen Publikum gut ankamen, ist tierproduktfreie Kost dauerhaft im Angebot“, freut sich Dora Kravascan vom AStA-Umweltreferat.

Den Auftakt zur einwöchigen Veranstaltungsreihe bildete eine mit 80 Interessierten gut besuchte Einführungsvorlesung: Der Dortmunder Tierrechtler Günther Rogausch hielt ein flammendes Plädoyer für die Anerkennung der Tiere als Individuen: „Sie sind jemand, nicht etwas.“ Die Unterscheidung zwischen Tierschutz und Tierrechten sei keine graduelle, sondern fundamental: „Tierschutz ist Mittel der menschlichen Selbstinszenierung“, so Rogausch, „und stellt das Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier nicht grundsätzlich in Frage.“

Die Bremer Sozialwissenschaftlerin Mieke Roscher schilderte den Kampf um Tierschutz und Tierrechte zwischen 1870 und 1914 als „partikulares Phänomen“ britischer Sozialgeschichte. Das Engagement für Tierinteressen war seit seiner Institutionalisierung Anfang des 19. Jahrhunderts eine weibliche Domäne. Die zunächst im Hintergrund agierenden Aktivistinnen veranstalteten Basare, schrieben Briefe und wirkten sonst vor allem auf privater Ebene.

„Indem Frauen die gesellschaftlich akzeptierte Form der Umsorgerin von der Familie auf das Tier ausweiteten“, so Roscher, und weil diese Bezugnahme auf das Tier als legitimes Objekt weiblicher Einflussnahme mit der Stärkung der eigenen Position einherging, gelang es den Frauen, gesellschaftliche Barrikaden zu überwinden. „Damit ist der Tierrechtsbewegung ein protofeministisches Potenzial zuzuschreiben“, erklärte die Doktorandin. Manchen Anfeindungen zum Trotz sei es der Bewegung gelungen, Einfluss auf elementare Diskurse ihrer Zeit zu nehmen.

Der Umweltwissenschaftler André Krebber forderte in seinem Vortrag ein neues Naturverständnis, das „für die Berücksichtigung der Tiere in unseren Politikformen“ zwingend erforderlich sei: „Der Kampf gegen Tierausbeutung kann nur dann Erfolg haben, wenn wir es schaffen, dass Tiere als gleichwertige Partner anerkannt werden.“