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Archiv-Artikel

Wirklichkeit und Inszenierung

Anglist und Bestseller-Autor, Bildungskritiker und selbst ernannter Volksaufklärer: Zum Tod von Dietrich Schwanitz

Dietrich Schwanitz verband mit dem Popstar Madonna die Fähigkeit, sich in wechselnden Rollen neu zu erfinden und die Öffentlichkeit dazu zu bringen, ihn stets als einen anderen wahrzunehmen. Der Titel seiner Habilitationsschrift „Die Wirklichkeit der Inszenierung und die Inszenierung der Wirklichkeit“ ist fast prophetisch: Schwanitz machte als Autor das angloamerikanische Genre des Universitätsromans in Deutschland bekannt. Er wuchs dann – halb zog man ihn, halb sank er hin – in die Rolle des Universitätskritikers, steigerte sich zur obersten Instanz in Bildungsfragen und gab zuletzt mit seinem Werk „Männer“ ein Gastspiel als männliche Alice Schwarzer.

Dass Bildung für Schwanitz eine große und problematische Rolle gespielt hat, zeigt bereits ein Blick auf seine frühe Biografie. Geboren am 23. April 1940 im westfälischen Werne, war eine Gelehrtenkarriere nicht abzusehen. Nachdem seine Mutter ihn mit dem Roten Kreuz in die Schweiz geschickt hatte, lebte er jahrelang ohne Schulbesuch bei mennonitischen Bergbauern. Die aber lehrten ihn den Fleiß, mit dem er, zurück bei den Eltern, den Lernstoff aufholte, bis er zum Abitur als Klassenbester dastand. Es folgten Studium in Münster, London und Philadelphia, dann Promotion und Habilitation in Freiburg. 1978 erhielt er den Ruf auf eine Professur in Hamburg. Einem Leben in gelehrter Bedeutungslosigkeit stand damit nichts im Wege.

Doch Schwanitz war niemand, der einmal zugewiesene Standorte akzeptierte. Stets offen für Neuerungen war er, laut einem seiner Kollegen „einer der am schnellsten denkenden Köpfe des Fachs“; der erste Anglist überhaupt, der die Möglichkeiten der Systemtheorie verstand und nutzbar machte, nicht zuletzt für seine Theaterprojekte, mit denen er bereits 1988 wegen eines Bezugs zur Barschel-Affäre Aufmerksamkeit erregte. Damit war sein Provokationspotenzial noch lange nicht erschöpft. Sein Einsatz für den Import der an US-Unis allgegenwärtigen Creative-writing-Kurse brachte 1995 ein eigenes Ergebnis hervor, den Roman „Der Campus“. Die Satire auf den Hamburger Universitätsalltag sowie die grassierende Political Correctness wurde ein Bestseller.

Wer so viel Erfolg damit hat, dass er andere kritisiert, dem sind die Neider gewiss, und Schwanitz nutzte das Licht der Öffentlichkeit für seine neue Kronzeugenrolle gegen die deutschen Bildungsinstitute. Mit Statements wie Universitäten seien dazu da, die Arbeitslosenstatistiken zu verschleiern oder die „Gremienkultur“ an den Hochschulen verlange für Stellenbesetzungen „kriminelle Energie“ schaffte er sich problemlos Feinde. Es folgte als postmoderne Verlängerung von „Der Campus“ ein satirisches Nachspiel um Schwanitz’ Frühpensionierung und die Nutzung von universitätseigenen Schreibservices, komplett mit offenen Briefen und eigenen Kommissionen. Trotz Berufsunfähigkeit entwickelte Schwanitz eine beeindruckende publizistische Aktivität, etwa das Buch „Bildung –Alles, was man wissen muss“. Zuletzt widmete er sich in seiner Zweitheimat, dem Dorf Hartheim im Breisgau, dem Aufbau eines Kulturzentrums in einem alten Bauernhof: ein Volksaufklärer nicht nur in Wort, sondern auch in Tat. Gestern wurde Schwanitz tot in seiner Wohnung aufgefunden.

SEBASTIAN DOMSCH