Merkel kommt zum Schluss

Merz, Seehofer, Schäuble, Arentz, Meyer – um die CDU-Chefin wird es einsam. Zur Freude ihrer parteiinternen Gegenspieler

VON LUKAS WALLRAFF

Sie sei nach langen Gesprächen, reiflicher Überlegung und unter Abwägung aller möglichen Gesichtspunkte „zu dem Schluss gekommen, dass Laurenz Meyer seine Arbeit als Generalsekretär fortsetzen kann“. Sagte Angela Merkel. Am Montagnachmittag.

Gestern früh, nicht einmal zwei ganze Tage später, war Merkels freundliche Schlussfolgerung aus den umstrittenen RWE-Bezügen ihres Generalsekretärs passé. Meyer trat zurück – und die CDU-Vorsitzende blieb ein paar Stunden sprachlos. Erst am Nachmittag meldete sie sich zu Wort und bekundete Meyer „Respekt für seine Entscheidung“.

Seine Entscheidung. Nicht ihre. Ob sie Meyer gefeuert hätte, wenn er nicht von sich aus gegangen wäre (was Merkel-Freunde aus der CDU ausdrücklich bestätigten), ließ die Chefin offen. Wie so vieles. Ihr stundenlanges Schweigen nach dem Rücktritt des von ihr einst ausgewählten und bis zuletzt gestützten Meyer zeigt, wie wenig sie auf die neue Lage vorbereitet gewesen sein muss. Sonst hätte sie ihren Gegnern inner- und außerhalb der CDU kaum so viel Zeit im Kampf um die politische Deutungshoheit über den Verlust ihres Generalsekretärs überlassen. „Es wird einsam um Merkel“, die eine „weitere Niederlage“ erlitten habe, verkündete SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter schon wenige Minuten nach dem Abgang seines CDU-Pendants. Genüsslich rief er die lange Liste der im Laufe von Merkels Amtszeit dahingerafften Exmitstreiter in Erinnerung: von Friedrich Merz, der sie mit ihrem Steuerkonzept allein ließ, über Horst Seehofer, der gegen ihr Gesundheitskonzept protestierte, und Wolfgang Schäuble, der ihr als Präsident nicht passte und der ihr Angebot ausschlug, Merz’ Nachfolge anzutreten, bis zu Arbeitnehmerführer Hejo Arentz, der wegen seiner RWE-Bezüge viel schneller gehen musste als jetzt Meyer. Warum sie bei ihm so lange zögerte? Merkels Erklärung am Nachmittag fiel knapp aus. Es sei um eine „Abwägung“ gegangen zwischen ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Meyer und dessen „Fehler“, den sie schon am Montag – ohne Konsequenzen zu ziehen – bemängelt hatte.

Damals erklärte Merkel, sie sei „überzeugt, dass er alle Fakten auf den Tisch gelegt hat“, er könne weitermachen. „Wenn er jetzt doch noch gehen muss, muss es neue Fakten geben“, sagte ein CDU-Insider gestern, „sonst kann man das nicht erklären.“ Doch neue Fakten lieferte Merkel gestern ebenso wenig wie eine Antwort auf die Frage, was sich seit Montag verändert hatte außer Meyers Umdenken und einem Artikel in der FAZ, den der neue Generalsekretär Volker Kauder als „Hinrichtung erster Klasse“ für Meyer bezeichnet haben soll.

Dafür redeten andere umso mehr. Alle, die in den letzten Tagen über Meyers Verbleib im Amt geschimpft hatten, wie der NRW-Wahlkämpfer Jürgen Rüttgers, brachten ihre Erleichterung zum Ausdruck. Sie durften sich als Sieger fühlen. Sie, und nicht Merkel, hatten mit ihrer Einschätzung der Lage und der Stimmung an der Basis, die eindeutig gegen Meyer war, Recht behalten.

Dass Merkel als Verliererin dasteht, die sich getäuscht hat, davon werden andere profitieren – nämlich die, die in den letzten Tagen eiskalt geschwiegen hatten. Ob Christian Wulff, Roland Koch, Peter Müller oder Edmund Stoiber – sie alle ließen Merkel mit ihrem Treueschwur zu Meyer allein, ihr Lob für Meyers Arbeit kam erst gestern. Nach seinem Abgang. Was das bedeutet, ist auch Merkel bewusst. Auf die Begleitumstände von Meyers Rücktritt angesprochen, rutschte ihr ein interessanter Satz heraus: „Die Realität ist klipp und klar“, so Merkel, man brauche sich „um Fiktionen nicht zu kümmern“. Genau das aber passiert bereits. Wie wild wird spekuliert, wer wohl die Insiderinformationen über Meyers RWE-Tätigkeiten lancierte, wer ein Interesse daran hatte, ihm – und damit ihr – zu schaden. Ein Racheakt von Arentz? Auffallend oft wird dabei der Name Merz genannt, der über ausgezeichnete Kontakte zur Industrie verfüge. Spekulation. Merz sei jedenfalls „jetzt mit Sicherheit nicht unglücklich“, hieß es gestern aus Fraktionskreisen. Wie konnte das passieren? Darauf fiel selbst Merkels loyalsten Mitstreitern nicht viel ein. Vielleicht ohne es zu wollen, lieferte Fraktionsvize Bosbach in der Wartezeit auf Merkels Auftritt eine vernichtende Erklärung für Meyers Rücktritt. „Den Ausschlag“, so Bosbach, habe gegeben, „wie die Basis reagiert hat“. Die Basis, nicht Merkel.