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Archiv-Artikel

Weltbürger zweiter Klasse

Die Bremer ForscherInnen Heide Gerstenberger und Ulrich Welke haben eine umfassende Studie über die „Arbeit auf See“ vorgelegt. Ergebnis: Die Seefahrer von heute sind nur noch Landungsbegleiter

Am „Haushaltsposten Mannschaft“ wird gespart – auf Kosten der Sicherheit

Bremen taz ■ Der erfahrene Seemann bemüht sich, sogleich mit allen romantischen Klischees von Freiheit und Abenteuer aufzuräumen: „Auf dem Schiff ist es wie im Gefängnis. Nur kann man im Knast wenigstens im Hof Fußball spielen. Und fernsehen.“

Mehr als 200 Seefahrer haben Heide Gerstenberger und Ulrich Welke von der Forschungsstelle Schifffahrt an der Universität Bremen gesprochen. Viele Wochen lang sind sie selbst mit zur See gefahren. Ihr Ziel: herauszufinden, wie der Warentransport auf dem Schiff Tag für Tag funktioniert – und warum er so billig ist. Entstanden ist am Ende nicht nur eine 400-seitige Studie, sondern auch eine 60-minütige Filmdokumentation mit dem Titel „Abgeschottet“.

90 Prozent aller international gehandelten Güter legen ihren Weg auf dem Schiff zurück. Transportkosten fallen heute nicht mehr ins Gewicht, die Produktionsketten erstrecken sich über ganze Kontinente. „Wir haben es hier mit einem vollständig globalisierten Gewerbe zu tun“, sagen die beiden Autoren.

Nationale Arbeitskulturen, wie es sie noch vor 30 Jahren gab, existierten nicht mehr. „Mitte der 70er Jahre hat die alte Seefahrt aufgehört zu existieren.“ Gefahren wird heute unter Billigflaggen. Die Schiffe betreiben nicht mehr länger Privatpersonen, sondern multinationale Konzerne oder Investmentgesellschaften. Europäische Seefahrer finden sich nur noch auf der Brücke. „Den Großteil der Arbeit erledigen billige Handlanger aus Entwicklungsländern“, sagt Welke. Viele von ihnen fühlten sich als „moderne Sklaven“ missbraucht. Arbeitsverträge bekommen die Landungsbegleiter für maximal ein Jahr, manch einer verdient nur 200 Dollar im Monat. Gleiche Arbeit wird dabei nicht selten mit ungleichem Lohn vergolten. Und spätestens vier Jahre nach der Ausbildung ist heutzutage selbst für viele Offiziere Schluss – zu anstrengend ist die Arbeit.

Die Mannschaft ist der einzige Haushaltsposten, an dem man in diesem Gewerbe sparen kann – auf Kosten der Sicherheit. Die Zahl der Schiffsunfälle steigt, die der Umweltkatastrophen auch. Das aber liege nicht in erster Linie an der liberianischen Flagge am Heck, betont Gerstenberger. Viele Unglücke passierten einfach deshalb, weil an Bord keine richtige Verständigung möglich sei. Manchmal werden zehn verschiedene Sprachen gesprochen, die ständig neu zusammen gesetzten Mannschaften kommunizieren vielfach nur per Handzeichen. Ein anderes Problem: Wie lange eine Reise zu dauern hat, bestimmen nicht der Kapitän oder das Wetter, sondern das Management. Und dessen enge Zeitvorgaben wollen strikt eingehalten sein.

Das heißt aber auch: Der Landgang für die Seeleute ist heute de facto abgeschafft, die Ereignisse vom 11. September 2001 haben das ihre dazu beigetragen. Verschärfte Sicherheitsbestimmungen machten die Seeleute zu „Weltbürgern zweiter Klasse“, sagt Welke.

An Bord sähen sie sich überdies vielen „kolonialistischen Verhaltensweisen“ ihrer Offiziere aus Europa ausgesetzt, erzählt Seemannsfrau Karin Herter, die früher selbst oft mit an Bord gewesen ist. „Phillipinos“ heiße es dann beispielsweise, „sind keine Menschen wie wir“. Solche Diskriminierung von Untergebenen sei ein echtes Problem, bestätigen die beiden Wissenschaftler. Von Ausländerfeindlichkeit dürfe man dabei aber nicht sprechen, das hätten sie schon zu Beginn ihrer Forschungsarbeit lernen müssen: „Ausländer“, so Gerstenberger, „gibt es an Bord keine.“ Denn Ausländer ist auf dem Schiff ein jeder. Jan Zier

Heide Gerstenberger / Ulrich Welke: Arbeit auf See. Zur Ökonomie der Globalisierung (Verlag Westfälisches Dampfboot), 29,90 Euro (inklusive DVD)