piwik no script img

Archiv-Artikel

„Jüdischer Humor kennt kein Tabu“

Dani Levy

„Humor hat mich am ehesten immer in tragisch gewordenen Liebesgeschichten gerettet, in Beziehungen, die in der Sackgasse waren, bei denen man nur noch im Jammertal saß“ „In einem Land, in dem man sich vor lauter Political Correctness klaustrophobisch fühlt, braucht es Provokateure. Ich bin, glaube ich, eher ein Provokateur wider Willen. Ich möchte eigentlich geliebt werden“

Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur – Dani Levy hat Film im Blut. Geboren 1957 in Basel, lebt er seit 1980 in Berlin, gründete hier unter anderem mit Tom Tykwer die Produktionsfirma X Filme Creative Pool und dreht seit bald 20 Jahren Filme, darunter „Robbykallepaul“ (1988), „Stille Nacht“ (1995), „Meschugge“ (1997), „Väter“ (2002) – und nun „Alles auf Zucker“. Diese wohl erste deutsch-jüdische Filmkomödie nach dem Krieg läuft in der kommenden Woche in den Kinos an. Ein Gespräch mit Levy über die komödiantische Seite von Nazimonstern, die lebensrettende Kraft des Humors, Scham, das Glück der Erde, Adventskerzen, seine jüdische Familie und Alfred Hitchcock.

Interview PHILIPP GESSLER

taz: Herr Levy, darf man über Hitler lachen?

Dani Levy: Warum nicht? Ich musste beispielsweise bei dem Spielfilm „Der Untergang“ lachen. Äußerst komödiantisch. Ich fand es absurd, diesen alten, liebenswerten Opa zu sehen mit seinen komischen Ideen in seinem Bunker, dieser schnarrende Schweizer, der mich zweieinhalb Stunden lang zu überzeugen versucht, dass die alten Nazis doch keine so üblen Kerle waren. Das fand ich, hier und da, im Sinne des Galgenhumors amüsant.

Hitler-Darsteller Bruno Ganz hat Sie nicht überzeugt?

Er hat es gut gemacht. Aber ich habe die Grundidee des Films nicht kapiert. Warum soll ich Verständnis oder gar Mitgefühl für die Jungs entwickeln? Aber es gibt natürlich auch ganz böse Hitler-Filme: „The Producers“ von Mel Brooks, „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch oder „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin. Das sind Filme, die es schaffen, mit dem Grauen humoristisch umzugehen, ohne geschmacklos zu sein. Das sind Meisterwerke, sehr mutige Unternehmen und ganz wichtige Filme für mich.

Trauen Sie sich das zu, solche Filme zu machen?

Ich hätte gern einen humoristischen Antifilm zum „Untergang“ gemacht. Ich wollte die Vermenschlichung dieser nationalsozialistischen Monster oder Bürokraten – wie auch immer – weiter treiben. Aber ich war nicht schnell genug und hatte zu wenig Zeit. Ich hatte sogar schon Teile des Drehbuchs geschrieben. Na, kann ja noch werden.

Sie haben einmal angedeutet, man könnte Ihren neuesten Film „Alles auf Zucker“, der Anfang Januar in die Kinos kommt, die erste jüdische Komödie in Deutschland nach dem Krieg nennen. Das setzt den Maßstab hoch an.

Wenn wir nichts übersehen haben, gab es einen Film dieser Art bisher nicht, diese Verbindung zwischen dem jüdischen und dem deutschen oder dem Berliner Humor. Vor dem Nationalsozialismus war diese Verbindung ja sehr fruchtbar. Schauen Sie sich nur mal zum Beispiel die UFA-Filme an.

„Humor ist das wahrscheinlich schönste und legitimste Überlebensmittel“, haben Sie einmal gesagt. In welchen Situationen hat Sie Humor gerettet?

Am ehesten immer in tragisch gewordenen Liebesgeschichten, Beziehungen, die in der Sackgasse waren, bei denen man nur noch im Jammertal saß. Wenn man dann plötzlich den Weg findet, über seine eigene Situation und seine eigene Beschränktheit und Sturheit zu lachen, dann hat das meistens schon heilende Wirkung.

Aber retten kann Humor eine Beziehung nicht, oder?

Zumindest haben Beziehungen mit Selbstironie und Humor ganz bestimmt eine längere Lebensdauer. Generell glaube ich, es ist lebenserhaltend, wenn Menschen, die sich und ihre Tragik nicht zu ernst nehmen, bereit sind, mit einem gewissen Amüsement auf ihre eigenen Macken, Verlogenheiten und Blödheiten zu schauen.

Ist der jüdische Humor etwas Besonderes?

Was den jüdischen Humor attraktiv macht, aber gleichzeitig auch ambivalent, ist die Tatsache, dass er sehr subversiv ist. Er macht nicht Stopp vor Tabus – ob das Religion, Holocaust, Krieg, die Frau meines besten Freundes oder Bettgeschichten sind. Der jüdische Humor geht überall rein. Er macht keinen Halt vor dem politisch Korrekten oder dem, was Anstandsverletzung ist. Er verletzt gerne.

Muss guter Humor tragikomisch sein, damit er tief ist?

Ja. Die Notsituation, die Tragödie ist immer die Ausgangslage für die Komödie. Eigentlich sind die Komödie und die Tragödie das Gleiche – nur benutzt die Komödie andere Mittel. Die Komödie ist eine Tragödie im anderen Gewand. Jede Komödie braucht ihre Not.

Ist es schwerer, eine Komödie zu drehen statt eine Tragödie?

Tragödien sind auch schwer. In der Trauer, im Schmerz und in der oft distanzlosen Identifikation mit den Figuren, von denen man gar nicht will, dass sie einem so nahe gehen, sind die Leute hyperkritisch. Bei der Komödie haben Sie eine befreiende Distanz.

Erwartet man nicht von einem jüdischen Regisseur jetzt immer Filme mit jüdischem Humor?

Wenn man mir sagte: Hey, Levy, mehr davon, das ist genau das, was wir brauchen, dann bin ich gern bereit, mehr Komödien zu machen. Es gibt einige Stellen in „Alles auf Zucker“, die Holger Franke und ich gar nicht auf Gag geschrieben hatten, die aber Riesenlacher sind. Etwa die eine Szene, als Zucker, weil er zu spät kommt, aus einem ganz wichtigen Billardturnier rausfliegt und dagegen argumentiert, seine Familie sei im Holocaust umgekommen und der Gesprächspartner sei ja hoffentlich kein Antisemit. Ich fand das eher peinlich und bedrückend. Wie da die Zuschauer befreit lachen, zeigt, dass da Knoten vorhanden waren, die wir mehr erspürt als gewusst haben.

Sehen Sie bei manchen Juden hier in Deutschland diese Versuchung, in höchster Not so zu agieren wie Zucker?

In höchster Not – ich weiß nicht. Ich kann mich an mindestens zwei Situationen erinnern, da war ich noch jünger, als ich Polizisten oder Zollbeamte, die mich schikanierten und durchsuchten und meinen Pass mit dem Namen Levy gesehen hatten, gefragt habe, ob sie was gegen Juden hätten. Obwohl es damit gar nichts zu tun hatte. Die wurden dann natürlich noch unfreundlicher.

Aber das hatte natürlich auch etwas Tragikomisches. Schämen Sie sich da im Nachhinein?

Ja, total. Da schämt man sich, das findet man nicht so toll.

Das Glück der Erde liegt in der Familie, scheint eine Hauptaussage Ihres Films zu sein – würden Sie diesen Satz auch für sich übernehmen?

Nein, aber es liegt in der Versöhnung. Die Familie ist ja nur ein Mikrokosmos für andere Gebilde – Staaten mit mehreren Völkern zum Beispiel. Ohne jetzt auf den Nahostkonflikt zu kommen, glaube ich schon, dass eigentlich die Israelis und Palästinenser problemlos miteinander leben könnten. So verschieden sind sie ja gar nicht, wie sie immer denken. Andererseits ist natürlich richtig: Die Familie ist ein großes, Kräfte spendendes Nest. Sie kann es zumindest sein, ich rede da ausdrücklich nicht von meiner Familie, von der viele im Holocaust ermordet wurden.

Ihre Mutter ist in Berlin aufgewachsen, musste vor den Nazis fliehen und hat es nur schwer ertragen, dass Sie seit 1980 in Berlin leben und arbeiten. Sie haben gesagt, Filme wie „Meschugge“ und „Alles auf Zucker“ seien Ihre Art, das Gespräch mir ihr zu führen. Gibt es keine einfachere Methode?

Offenbar geht es nicht einfacher. Die noch bessere jüdische Frage wäre jedoch: Ging das nicht billiger? Das Trauma meiner Mutter hier in Berlin bis zur Reichskristallnacht und ihrer sehr komplizierten Flucht aus Deutschland konnte sie in keinster Weise in Aufarbeitung überleiten, und da ist sie nicht allein. Sie hat es tabuisiert. Es gibt viele, die unter dieser Lähmung leiden. Was sie dann ihren Kinder weitergeben, ist ein Schweigen, das uns Kinder selbst so gelähmt hat, dass wir gar nicht fragten. Mit meiner Mutter hatte ich auch den besten Kontakt über künstlerisches Arbeiten. Sie ist eine verkappte Künstlerin. Dass ich hier lebe und mich wohl fühle, keine fünf Kilometer von dem Ort entfernt, wo sie lebte und vertrieben wurde, hat vielleicht auch dazu geführt, dass sie ihren Deutschlandhass und ihre Schwellenangst, nach Berlin und Deutschland zu kommen, überwunden hat.

Die deutsch-jüdische Geschichte schimmert bei Ihnen immer wieder durch. Ist das doch eine Lebensaufgabe für Sie? Ein Beitrag zur Entkrampfung?

Ich gebe zu, dass „Meschugge“ nicht gerade entkrampfend war. Aber motivisch am wichtigsten in meinen Filmen ist natürlich die Liebe und der Kulturclash: Menschen, die sich kulturfremd sind, begegnen sich. Und dieser Zusammenprall hat durchaus komödiantischen Wert. In einem Land, in dem man sich vor lauter Political Correctness klaustrophobisch fühlt, braucht es Provokateure. Dazu braucht man aber ein starkes Selbstbewusstsein, weil man dann schnell unter der Gürtellinie angegriffen wird. Das tut weh. Ich bin, glaube ich, eher ein Provokateur wider Willen. Ich möchte eigentlich geliebt werden.

Ihre Schwester ist mit einem orthodoxen Juden verheiratet, haben Sie mal erzählt. Welche Rolle spielt für Sie die Religion? Ist ein religiöses Leben für Sie ein Weg?

Die Frauen meiner drei längeren Beziehungen hier in Berlin waren alle Nichtjüdinnen. Die Frage hat sich deshalb für mich nie gestellt. Auch wenn ich mit einer jüdischen Frau zusammen wäre, müssten wir die religiösen Erziehungsfragen klären. Für eine religiöse Erziehung weiß ich auch viel zu wenig über meine Religion. Man muss da ja auch einiges können an Ritualen. Wir könnten natürlich Chanukkakerzen anzünden statt des Adventskranzes, den wir haben. Aber meine Frau sagt immer: Die Tatsache, dass du so faul bist mit deinen jüdischen Überlieferungen, bedeutet ja nicht, dass ich mit meinen christlichen auch so faul sein muss und unser Kind ohne irgendetwas aufwächst.

Ihre Tochter ist nach den halachischen Gesetzen keine Jüdin.

Das stimmt. Im Judentum geht es nach der Mutter. Aber in ihrer Seele, wie ich sie erlebe, ist sie sehr jüdisch. Sie hat auch schon einen sehr subversiven, Wahrheit hinterfragenden Ton.

Wie ist das bei Ihnen: Beten Sie regelmäßig? Gehen Sie in die Synagoge?

Nein.

Sie haben mal in „Meschugge“ einen orthodoxen Juden gespielt. Das war eine besondere Situation für Sie, oder?

Ja. Ich muss auch sagen: Als wir für „Alles auf Zucker“ in der Synagoge einen Gottesdienst gedreht haben, hat mich das schon sehr bewegt. Für mich war die Synagoge immer ein Ort, in dem sich meine Widersprüche gerne regen: einerseits meine Unkenntnis und ein Stück weit meine Ignoranz gegenüber dem Religiösen als solches – andererseits meine tiefe Verbundenheit und Zugehörigkeit zu diesen Menschen, die sich dort zusammenfinden und auf ihre komische, skurrile und chaotische Art beten. Dieses Chaos zuzulassen und trotzdem eine bestimmte Verbindung zu Gott oder dem Universum oder zu was auch immer aufzubauen, das ist etwas, was mich immer noch berührt.

Zum Abschluss: In „Alles auf Zucker“ erinnert manchmal etwas an den Humor von Ernst Lubitsch. Was würde er zu Ihnen sagen? Würde er Sie loben?

„A good start, boy“, würde er, hoffe ich, sagen. Das erinnert mich an die Anekdote von Alfred Hitchcock, der Spielberg traf, als der schon „Der weiße Hai“ gedreht hatte. Und Hitchcock fragte nur: „Is that the boy with the fish movie?“