: Hertha BSC hat einen neuen Fan
Das war das Jahr, das war: Unser Lieblingsbundesligist obsiegt im Abstiegskampf und lässt neue Anhänger träumen. Unsere Lieblingsschwimmerin steigt unbeschwert aus dem Becken, unser Lieblingszweitligist verschwindet im Nirwana, und auf unsere Lieblingskorbleger ist kein Verlass mehr
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Das Wunder vom Schenkendorfplatz
Rainer hatte noch nie bei einem Training von Hertha BSC zugesehen. Kein Wunder. Er war ja auch kein Hertha-Fan. Jahrelang hatte er darauf gewartet, dass in Berlin ein Fußballclub entstehen würde, der nicht nur guten Fußball spielte, sondern zu dem man sich auch bekennen konnte, ohne von seinen Bekannten schief angesehen zu werden. Dass dieser Verein nun ausgerechnet die Hertha sein würde, nein, das konnte sich Rainer ganz und gar nicht vorstellen.
Als kurz vor Weihnachten 2003 der Manager des in akute Abstiegsgefahr geratenen Hauptstadtclubs einen gewissen Hans Meyer als Trainer für die Rückrunde vorstellte, konnte Rainer den Medienberichten nicht glauben. Das konnte doch nicht wahr sein, dass der möchtegernsmarte Club ausgerechnet den größten Kauz der Trainergilde überredet hatte, die Hertha zu retten. Das musste er sich ansehen. Mit 2.000 anderen – ebenfalls zunächst Ungläubigen – machte er sich Anfang des Jahres auf den Weg zum Trainingsgelände der Hertha, um mit eigenen Augen zu überprüfen, was er den Zeitungen nicht abnehmen wollte. In der Tat: Hans Meyer leitete am 3. Januar 2004 zum ersten Mal das Training der Bundesligamannschaft von Hertha BSC. Rainer freute sich. Am Abend zeigte er in seiner Kreuzberger WG stolz die Schnappschüsse, die er mit seiner Digitalkamera von Meyer gemacht hatte.
Als er die Dauerkarte für die Rückrunde, die er sich gleich im Anschluss an das Training gekauft hatte, auf den Küchentisch legte, blickten ihn vier Augenpaare neidisch an. In der folgenden Nacht träumte Rainer das erste Mal in seinem Leben von Hertha BSC.
Kein Speck nirgends
Es war heiß, es war windig, es war ein ganz normaler Sommer in Athen. Das Wasser war nass, und am Beckenrand stand eine blonde Frau mit Mikrofon, die auf ihre einfachen Fragen nach den Gründen für die Niederlagenserie der deutschen Olympiaschwimmer nicht selten merkwürdige Antworten bekam. Eine Sportlerin sagte, sie habe das Wasser nicht richtig zu fassen bekommen, und wurde daraufhin nicht nur wegen ihrer verpassten Medaillen kritisiert, sondern als Urheberin der Ausrede des Jahres verhöhnt. Währenddessen saß eine Schwimmkollegin im olympischen Dorf und verfasste das letzte Kapitel ihrer Autobiografie.
Franziska van Almsick hatte es wieder einmal nicht geschafft. Sie wollte in Athen ihre erste olympische Goldmedaille gewinnen. So war es vorgesehen. Und genau davon sollte das letzte Kapitel ihres Buchs handeln, das kurz nach den Spielen in den Handel kommen sollte. Jetzt hatte sie verloren. Und dennoch kehrte sie als eine der Siegerinnen aus Griechenland zurück.
Wurden die anderen Schwimmer, die ebenso leer ausgegangen waren wie die Almsick, mit Häme und Spott überzogen, wurde sie zur Grande Dame des Schwimmsports ernannt. Nicht einmal die Zeitungen mit den Balkenüberschriften schrieben unserer Franzi Speck auf die Hüften. Unglaublich: Eine Sportlerin durfte nach einer der bittersten Niederlagen ihrer Karriere in Würde abtreten.
Die Untoten liegen im Sterben
„Das kann ich doch nicht machen, ich war doch gestern schon auf dem Wasser“, sagte Otti und war dann doch wieder dabei. Es war eine harte Zeit für Familien, deren Oberhäupter zu den eingefleischten unter den Anhängern des 1. FC Union gehören. Mondscheinfahrt durch Berlin auf einem Ausflugsdampfer, Party mit Kultband Ost für den Kultverein Ost in der Alten Försterei, Benefizspiele gegen St. Pauli und Bayern München, Trinken für Union in diversen Biergärten. Die Terminkalender der Fans waren proppenvoll. Auch Otti unternahm alles, um seinen Verein, der vom Vorstand wieder einmal an den Rand des Ruins gewirtschaftet worden war, zu retten.
Union stand längst als Absteiger fest, als Otti in Burghausen beim letzten Auswärtsspiel der zweiten Liga ein Handy auf der Straße fand, eines, das noch funktionierte. Er wählte die Spendenhotline von Union. Immer wieder wählte er die teure Nummer. Mit jedem Anruf gingen etliche Euro auf das Konto seines Clubs. Doch dann bekam er ein schlechtes Gewissen. „Wem gehört das Handy?“, fragte er sich, „vielleicht einem wie mir? Den kann ich doch jetzt nicht ruinieren.“ Otti warf das Handy in den Müll und fuhr zurück nach Berlin.
Monate später macht er sich Vorwürfe. Union steht am Rande der Viertklassigkeit. Der Verein konnte zwar gerettet werden, aber eine Regionalliga-taugliche Mannschaft ist nicht zu finanzieren. Immer wenn Otti die Tabelle sieht, fällt ihm das Handy wieder ein. „Ich hätte Union retten können“, denkt er sich dann, und manchmal läuft ihm eine Träne über die Backe.
Die sieben fetten Jahre sind vorbei
Hatte er sich in der Uhrzeit getäuscht? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Oder ist das Spiel doch erst am Abend? Jürgen beschloss, einfach noch eine Weile zu warten. Doch es tat sich nichts vor der Max-Schmeling-Halle. Keine Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, kein Brezelverkäufer und schon gar kein Sportler. Jürgen verstand die Welt nicht mehr. Noch einmal sah er in seinen Kalender. Doch, es war der 30. Mai 2004. Aber warum ist dann niemand hier. „Kann man sich auf nichts mehr verlassen in der Welt?“, fragte er sich, „nicht mal mehr auf Alba?“
Ein halbes Jahr war er unterwegs gewesen. Mit dem Rücksack durch Südostasien. Das war schon immer sein Traum gewesen. Er hatte kein genaues Ziel, er hatte nur ein Rückflugflugticket nach Bangkok. Nur eines wusste er, bevor er losflog: Er wollte am 30. Mai in der Max-Schmeling-Halle sein. Zum ersten Finalspiel um die deutsche Basketballmeisterschaft. Am Mittag ist er in Tegel gelandet, zwei Stunden später sitzt er vor der Halle und versteht die Welt nicht mehr. Seit sieben Jahren hat er kein Play-off-Spiel von Alba verpasst. Am Ende hatte er, hatte Alba immer gewonnen. Und jetzt?
In einem Papierkorb fand er eine alte Zeitung. Schnell blätterte er sich bis zu den Sportseiten durch. Er las von der blamablen Leistung seines Teams gegen Bamberg im letzten Halbfinalspiel. Schnell machte er sich in Richtung U-Bahn auf. „Ob mein Haus wohl noch steht“, fragte er sich.