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Archiv-Artikel

das war wulle kröger von JAN ULLRICH

Es war das Jahr 1978, und die Ankündigung klang verlockend: „Existenzialistische Punkband sucht Mann, der mit dem Leben abgeschlossen hat, zur Wiedereinspielung von ‚Am Sonntag habe ich meinen schicken Anzug an.‘“ Die Anzeige endete mit dem Hinweis: „Kein Sex, keine Drogen, keine Haustiere“.

Wenn Wulle Kröger sich damals für diese Anzeige entschieden hätte, wäre sein Leben anders verlaufen. „Manchmal wache ich nachts schweißgebadet auf, weil ich geträumt habe, ich hätte auf die Annonce geantwortet. Ich bin dann ein armer, alter, melancholischer Mann, der in Fußgängerzonen seine Lieder singt und eine Kaffeekanne auf seinem Kopf trägt.“

1978 wurden Wulles Eltern noch gern gegrüßt, wenn sie ihren Sohn mühevoll durch die heimische Innenstadt schoben: „Wenn mein Kind so dick wäre, würde ich es auch mit der Sackkarre transportieren“, hieß es stets. Dann grunzte Wulle kurz, da es ihm schwer fiel, in ganzen Wörtern zu sprechen.

Wulles Vater war Professor für angewandte Schuhmoden. Wegen einer Allergie gegen orthopädische Einlagen musste er sein Geld als Anstreicher verdienen. „Farben sind Gefühle“, raunte er seinem Sohn einmal zu. „Wenn ich eine Wand rot bemale, brennt meine Haut; wenn ich sie blau streiche, wachsen mir Schwimmhäute; und bei Dunkelgrün bekomme ich einen Buckel, in dem eingemachte Gurken lagern.“

Während seiner Schulzeit gehörte Wulle Kröger zum Kreis der besonders unbegabten und hoffnungslosen Fälle. Schnell entwickelte er sich zum Außenseiter, weshalb er sich jahrelang als Tür ausgab. Während dieser Zeit wurde er mindestens zweimal abgeschliffen und anschließend neu gestrichen. „Wenn er jedenfalls Haare gehabt hätte“, klagte seine Grundschullehrerin später. „Aber so blieb er bloß ein fetter, nach Klarlack stinkender Kloß, der nicht ordentlich sprechen konnte. Es war grauenhaft.“

Mit Mühe schaffte es Wulle Kröger bis in die 6. Klasse. Als er 15 Jahre alt war, hatte er eine Vision: „Ich wäre gern der Bürgermeister von Bochum, dann könnte ich Rentiere züchten, Kochbücher schreiben und nebenbei Tretboote verleihen.“ Ein Jahr später verkauften ihn seine Eltern an einen Streichelzoo.

Dort entwickelte Wulle sich schnell zum Publikumsliebling, da ihn die Kinder gegen geringes Entgelt mit verfaultem Obst oder alten Kanarienvögeln bewerfen durften. Seine Erlebnisse im Streichelzoo verarbeitete er nachträglich in dem Gedicht „Geräusch einer ungehörten Gegensprechanlage“. Anschließend arbeitete Wulle Kröger als Tester für Zahnsteinentfernungstabletten und als Kellner in einer finnischen Oper.

„Ich hätte denselben Friseur wie Elton John haben können, stattdessen besitze ich nicht einmal Klebebildchen von Yvonne Catterfield“, zog Kröger jüngst Bilanz. Dem steht lediglich der Erfolg als „Kartoffel des Jahres“ in der Kategorie „gestampft, nicht gemust“ gegenüber. Er wurde ihm wenig später aber wegen des zu hohen Dioxingehalts wieder aberkannt.

Heute findet man Wulle Kröger in der Fußgängerzone neben einem armen, alten, melancholischen Mann, der seine Lieder singt. Wulle Kröger hält die Kaffeekanne auf seinem Kopf. Dazu grunzt er ein bisschen.