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Archiv-Artikel

der telefonterrorist von HARTMUT EL KURDI

Horst konnte sehr eindringlich nerven. Seine Spezialität war eine Art wortfindungsgestörter Telefonterror. Mitunter rief er dreimal am Tag an, hustete erst einmal ausgiebig und bröckchengesättigt seine 50 Jahre Kettenraucherei illustrierend ins Telefon und fragte dann mit grummelnder Bärenstimme: „Und was macht der … der neue … na … Dings?“ – „Äh … der was?“ – „Na, der … dieses … na, wie heißt das noch mal?“ Meistens wusste ich zwar, was er meinte, ließ ihn aber trotzdem zappeln. „Wie heißt was noch mal?“, stellte ich mich doof. „Na, dieser Apparat … du weißt schon … dieses Telefondings!“ In jenem speziellen Fall sprach er von einem neuen Faxgerät mit Anrufbeantworter, das er uns spendieren wollte, seit ich mal schwammig angemerkt hatte, dass das alte ein paar Macken hatte. Diese nebenbei geäußerte Kleinklage hatte ich inzwischen schon mehrfach bereut, denn Horst, mein unehelicher Schwiegervater, kannte keine Gnade, wenn er seiner Tochter und mir etwas Gutes tun wollte.

Horst war schon Mitte siebzig, als ich ihn kennen lernte. Da er Probleme mit den Beinen hatte, konnte er nicht selbst losziehen und die Wohltaten für uns besorgen, sondern nervte in sehr kurzen Abständen, bis wir das Gerät gekauft, die Urlaubsreise gebucht oder die Reparatur hatten durchführen lassen und ihm die Rechnung zum Begleichen vorlegten. Dann war er zufrieden. Bis das nächste Beglückungsprojekt anstand.

Schön und besonders gemütlich wurde es, wenn Horst anrief und ebenso freundlich wie halb interessiert und formelhaft fragte: „Und wie geht’s?“ Und man dann wahrheitsgemäß antwortete: „Beschissen geht’s“. Nichts hätte Horst weniger akzeptieren können. Bewundernswert ignorant fuhr er fort: „Na prima, Hauptsache, es geht gut!“ – „Nee, ich hab doch gesagt, es geht nicht gut „ – „Na, dann ist ja alles in Ordnung.“ – „Aber …“ – „Und was macht der neue … äh … Dings?“ Er wollte, dass es uns gut ging, also ging es uns gut! Selbst wenn man laut, deutlich und mehrmals „NEIN!“ sagte und mit den Füßen aufstampfte.

Irgendwann kapitulierte man dann und knickte ein: „Nee, alles okay. Und selbst?“ Einmal allerdings brachte ich ihn – vielleicht durch einen besonders bestimmenden jämmerlichen Ton – dazu, meine niedrige Stimmungsstandsmeldung zu akzeptieren. Als es meiner negativen Antwort schließlich gelang, in seine Parallelwelt einzudringen, machte er eine kurze Pause, die ich gespannt abwartete und in Gedanken mit einem Trommelwirbel auffüllte. Was würde jetzt passieren? Würde er nachfragen? Ein Gespräch bei einem „Glas Bier“ anbieten, dem berühmten Horst’schen Allheilmittel? Aber dann brummte er nur: „Och, das wird schon wieder!“ Und was soll ich sagen, irgendwie hatte er Recht …

Vorhin fiel mir beim Aufräumen eine blaue Wollweste in die Hand, die ich mir mal auf Horsts Drängen aus seinem „Pro Idee“-Katalog bestellt hatte. Obwohl ich blaue Wollwesten gar nicht mag. Wer mag schon blaue Wollwesten? „Such dir doch mal was Schönes aus!“, hatte Horst gesagt und mich dabei angeschaut, als würde er mir bei Zuwiderhandlung eine scheuern. Jetzt haben die Motten geschätzte elf Löcher in die Weste gefressen. Und Horst ist gestorben.