Rohe Brocken
Das „Trottelbuch“, Franz Jungs frühexpressionistisches Erstlingswerk
Mit „Trottel“ bezeichnet man laut Grimm einen geistig unbedeutenden, willensschwachen oder senilen Menschen. Willensschwach und wenig helle mögen die Figuren sein in Franz Jungs frühexpressionistischem Erstlingswerk aus dem Jahr 1912, dem „Trottelbuch“, unbedeutend sind sie ganz gewiss nicht. Jene Säufer, Raufbolde und mannstollen Weiber, die lieber einander umbringen, als voneinander zu lassen, kannte Franz Jung nur zu gut. Nicht nur aus den Bohèmekreisen, in denen er sich von Jugend an bewegte. Selbst ein sehr ordentlicher Trinker und in eine schwer sadomasochistische Beziehung verstrickt, war auch Franz Jung einer dieser „Trottel“.
Wollen die Menschen in seinen Erzählungen doch einmal etwas Schönes sagen, kommen, zu ihrem eigenen Erstaunen, nur Flüche und Schreie aus ihnen heraus. Sie schlagen einander ins Gesicht, ohne zu wissen, ob sie damit nun ihren Hass oder ihre Liebe ausdrücken. Einmal heißt es: „Soll ich wieder gut sein oder ihr an die Gurgel fahren?“ Hauptstück der Erzählsammlung ist die Novelle „Die Erlebnisse der Emma Schnalke“, in der Jung seine katastrophale erste Ehe verarbeitete. Und das in einer gedrängten, primitivistischen Sprache, die dem Leser wie in rohen Brocken hingeschleudert wird.
Literaturgourmets wie Franz Blei wandten sich damals angewidert ab, die jungen Rabauken um Franz Pfemerts Aktion aber waren von dem neuen „Barbaren“ begeistert. Der Leipziger Verlag Faber & Faber hat jetzt Franz Jungs Erstling, der zu den Gründungsbüchern des Expressionismus gehört, wieder aufgelegt, in einer reich illustrierten Liebhaberausgabe in limitierter Auflage. Volker Pfüllers Lithografien und Zeichnungen mit ihrem dominierenden Rot fügen sich dabei wunderbar in die Erzählungen von Jung ein, ein Reigen von raubtierähnlichen Grimassen mit gebleckten Zähnen, hilflos rollenden Augen, von heimtückischen Visagen und genauso wolllüstig wie kampfeslustig wogendem Fleisch.
Später, in seiner Autobiografie „Der Weg nach unten“ aus dem Jahr 1961, fand der Anarchist und ewige Rebell Jung für diesen Menschenschlag die schöne Metapher vom „Torpedokäfer“. Dieses fiktive Insekt steuert mit aller Kraft auf sein Ziel zu, verfehlt es, rennt sich den Kopf an – nur um immer wieder von neuem zu starten.
OLIVER PFOHLMANN
Franz Jung: „Das Trottelbuch“. Mit fünf Originaltransparent-Lithografien und fünfzig Zeichnungen von Volker Pfüller. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2004, 82 Seiten, 76 Euro