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Archiv-Artikel

Begegnung

Im Café Colombo

Von MÜLL

Die Confisserie Colombo, 1894 eröffnet, ist das edelste Café von Rio. In dem zweistöckigen Jugendstilbau mit Palisanderholz, Marmorbalkonen, mächtigem Mobiliar und riesigen belgischen Spiegeln hat schon die englische Queen Tee geschlürft. Auch hier ist der Fußball allgegenwärtig, und das nicht nur weil die Säle fast die Größe von Strafräumen erreichen.

Der erste Vierertisch im oberen Stockwerk ist jeden Mittag reserviert und auffällig eingedeckt. Zwei Wimpel in Schwarz und Rot stehen hier: Die Fähnchen von Flamengo, dem berühmtesten Club der Stadt, wo einst Zico und Andrade groß wurden, später Jorginho, Romário, Bebeto und Zé Roberto. Jeden Mittag gegen 13 Uhr nimmt ein kleiner Mann mit Oberlippenbärtchen Platz: Sebastiao Aroldo Kastrup, 81 Jahre, der frühere Sportdirektor des vielfachen brasilianischen Meisters. Meist, erklärt der Chefkellner, speise der alte Herr allein mit seinen Wimpeln.

„Mein Vater war aus Frankfurt“, sagt Kastrup lächelnd in stockendem Deutsch. „Seit 63 Jahren komme ich hierher“, also seit Anfang der 40er-Jahre, und „seit bald 30 Jahren jeden Mittag“. Und immer tippelt er langsamen Schrittes ans Büfett zum „Carne Louca“, dem hauseigenen Fleischsalat. Den habe er, berichtet Kastrup, bei seinem Wirken als Ministerialdirektor im fernen Mato Grosso entdeckt und von dort quasi importiert. Der Gaumenschmeichler ist aus hauchfeinen Rindfleischscheiben mit ampelfarbenen Paprikaraspeln, viel Zwiebeln und sehr viel Öl. Nach einer Stunde ist der alte Mann müde. Kastrup drückt seinen Zigarettenstummel aus, gleitet in sein weißes Jackett und sagt im Hinausgehen den zweiten deutschen Satz: „Auf Wiedersehen, mein Herr.“ MÜLL