Zeit der kleinen Schritte

Nach dem ersten, von dem Finnen Janne Ahonen gewonnenen Springen der Vierschanzentournee sieht sich Bundestrainer Peter Rohwein, der vor zu hohen Erwartungen gewarnt hatte, bestätigt

AUS OBERSTDORFKATHRIN ZEILMANN

Der Eindruck täuschte. Martin Schmitt ist nicht zum Chauffeur des Bundestrainers degradiert worden. Zwar kutschierte er gestern Peter Rohwein zum Konditionstraining in die Oberstdorfer Turnhalle, das liegt aber daran, dass sich der Cheftrainer wegen einer Knieverletzung, die er sich beim Eishockeyspielen zugezogen hatte, schwer tut mit dem Autofahren. Deshalb ließ er Schmitt ans Steuer. Was Chauffeur und Beifahrer besprochen haben, wollte Rohwein nicht verraten. Am Tag nach einem Springen wisse er schon, wie er sich „angemessen und so, wie sie es brauchen“, mit seinen Schützlingen unterhalte, ließ er lediglich wissen. Er musste gestern mehrere Gespräche führen. Denn die Ergebnisliste von Oberstdorf zeigt: Durchschlagende Erfolge gibt es nicht zu vermelden. Immerhin: Ein heilloser Absturz ohne Netz und Sicherungsseil war es aber auch nicht. Die deutschen Springer waren angetreten, um Podestplätze zu erreichen. Ein Sieg schien angesichts der Dominanz des am Mittwoch in Oberstdorf erneut siegreichen Finnen Janne Ahonen ja sowieso ausgeschlossen. Alexander Herr und Georg Späth haben in diesem Winter aber schon bewiesen, dass sie sich unter den besten drei platzieren können.

In Oberstdorf nun war Michael Uhrmann als Achter bester Deutscher, Michael Neumayer, der Martin Schmitt im K.-o.-Duell aus dem Wettbewerb kegelte, wurde 16., und auch Maximilian Mechler (19.) schlug sich ordentlich. Peter Rohwein nickt mit dem Kopf und sagt: „Damit bin ich zufrieden, das ist im grünen Bereich.“ Herr verpasste das Finale, Späth wurde 21. „Das darf nicht passieren. Späth und Herr, das waren Totalausfälle“, findet Rohwein. Und Späth erkennt: „Dieser Wettkampf war eine Katastrophe.“ Mangelnde Selbstkritik kann man ihnen wirklich nicht vorwerfen. Auch nicht, dass vorher allzu übermäßige Erwartungen geschürt worden sind. Schon vor der Saison präsentierte sich Rohwein, immerhin erst seit Oktober im Amt, zurückhaltend, sprach von „kleinen Schritten“, davon, dass es keinen Seriensieger im Team gebe und dass auch Plätze in den Topten als Erfolg zu sehen sind.

Es zeigt sich nun, dass das realistische Einschätzungen sind, denn die einstigen großen Sieger haben gravierende Probleme, und die anderen merken erst jetzt, wie angenehm es bei eigenen mäßigen Resultaten war, wenn sich alles auf zwei Protagonisten fokussierte. „Martin und Sven haben schon lange Schatten geworfen“, sagt Uhrmann nun. Ein am Burn-out-Syndrom erkrankter Sven Hannawald war Zaungast in Oberstdorf – allein neben dem Absprunghügel sah er sich den Wettkampf an und besuchte anschließend die Kollegen im Mannschaftshotel. „Ich hatte den Eindruck, dass es ihm gefallen hat. Es ist alles sehr herzlich abgelaufen“, berichtet Rohwein. Doch Fragen nach Hannawalds Rückkehr erübrigen sich zurzeit. Neulich im Fernsehen erzählte er, dass jeder Wanderer, der ihm beim Joggen in Hinterzarten begegnet, stört, „weil der denkt, dass der Hannawald wieder anfängt“.

Und Martin Schmitt, der viermalige Weltmeister? Der lachte ein bisschen unter dem Oberstdorfer Flutlicht. Grund dazu hatte er eigentlich keinen, Platz 49 im 50-köpfigen Starterfeld auf der Schanze, auf der er schon dreimal gewinnen konnte. Deutlicher kann sich ein Absturz eigentlich gar nicht zeigen. Bei Rückenwind in Oberstdorf hätten sich seine Fehler verstärkt, erklärt er. In Garmisch-Partenkirchen darf er sein Glück morgen noch einmal versuchen. „Das ist sein Wunsch, und das akzeptieren wir. Er ist ja ein selbstständiger Sportler“, sagt Rohwein. Was dann kommt, weiß nicht einmal der Trainer. Nach der ordentlichen Leistung in der Qualifikation verkündete er noch, ein mit so vielen Erfolgen dekorierter Springer dürfe natürlich – auch wenn ein anderer aus dem Team besser sein sollte – die Tournee vollständig absolvieren. Gestern sagte er dann: „Es gibt viele Möglichkeiten, was Martin nach Garmisch macht. In Innsbruck beim dritten Springen treten acht Leute an, die bis dahin Weltcuppunkte haben.“ Schmitt hat noch keinen einzigen.

Festzustehen scheint, dass er im Januar intensiv trainieren muss, um sich die vage Chance auf die WM-Teilnahme zu erhalten. Den Chef chauffieren wird er bald nicht mehr. Rohweins Knie wird am 11. Januar operiert, danach kann er wieder selbst ans Steuer. Schmitts Probleme lassen sich aber nicht termingerecht aus der Welt schaffen, das ist schon mehrmals vergeblich versucht worden.