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Archiv-Artikel

Bloß nichts persönlich nehmen!

Ab jetzt gilt Hartz IV. Die persönliche Leistung entscheidet nur wenig über die Jobchancen. Wichtig sind vielmehr Branchenzugehörigkeit und Lebensalter

Immer mehr Berufseinsteiger stecken heute in „Praktikanten- Karrieren“ fest

VON BARBARA DRIBBUSCH

Welche Chance habe ich auf dem Arbeitsmarkt 2005? Diese bange Frage stellen sich nicht nur fast fünf Millionen Arbeitslose, sondern auch viele tausend Selbstständige, Berufseinsteiger und Beschäftigte in krisengeschüttelten Unternehmen. Die Voraussage der Arbeitsmarktentwicklung sei diesmal „mit besonders großen Risiken behaftet“, formuliert vorsichtig das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Die Unsicherheit ist groß. Doch ein paar Anhaltspunkte gibt es.

Zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute lautet: In diesem Jahr wird die Zahl der Erwerbstätigen steigen. Die schlechte: leider nur um 0,3 Prozent. Und dahinter verbirgt sich obendrein noch ein Wandel in der Beschäftigtenstruktur. Die Zahl der Selbstständigen, der MinijobberInnen und Teilzeitbeschäftigten werde zunehmen, der Anteil der sozialversicherten Vollzeitbeschäftigten hingegen weiter schrumpfen, kündigen die IAB-Forscher an. In diesem Jahr werden nur noch 61 Prozent aller Erwerbstätigen vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen sein. Im Jahr 1994 waren es noch 73 Prozent.

Damit ist ein wichtiger Sozialtrend für 2005 vorgegeben: Viele Menschen werden nicht vom Arbeitslohn allein, sondern von „Mischeinkommen“ leben, die sich aus Jobentgelt, Transferleistungen oder Partnereinkommen zusammensetzen. Man könnte von den neuen „Patchworkern“ sprechen. Die Absturzängste nehmen dabei zu, mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II schwindet von nun an die gefühlte Sicherheit der Mittelschichten.

Das Stellenangebot bleibt knapp. Vielen Erwerbslosen wird daher nichts anderes übrig bleiben, als sich als Ich-AG oder Empfänger von Überbrückungsgeld mit finanzieller Hilfe der Arbeitsagenturen selbstständig zu machen. Immer mehr Menschen werden Alleinunternehmer „aus Not“ – die IAB-Forscher rechnen für dieses Jahr mit durchschnittlich 240.000 geförderten Existenzgründern.

Als neue Beschäftigtengruppe treten die 1-Euro-Jobber auf den Plan. Sie bekommen zusätzlich zum Arbeitslosengeld II eine so genannte Mehraufwandsentschädigung von 1,50 Euro je geleisteter Arbeitsstunde. Die IAB-Forscher erwarten durchschnittlich 430.000 solcher 1-Euro-Jobber in diesem Jahr. Der zweite Arbeitsmarkt wird also entgegen der früheren Politik wieder ausgeweitet – und zugleich so billig wie noch nie.

Dabei brechen alte Absicherungen weg. So wird die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I in der Regel auf ein Jahr verkürzt. Danach gibt es nur noch das Arbeitslosengeld II. Ein Alleinstehender bekommt damit zum Leben monatlich 345 Euro – im Osten: 331 Euro –, zuzüglich der Erstattung der Wohnkosten. Für eine Übergangszeit gibt es zwar noch Zuschläge. Besonders langzeitarbeitslose Akademiker, die früher noch eine relativ hohe Arbeitslosenhilfe bezogen, erhalten jedoch weniger Stütze. Partnereinkommen und Vermögen werden zudem bis auf Freibeträge angerechnet. Mit der schärferen Anrechnung des Partnerverdienstes wird die soziale Sicherung in die privaten Beziehungen hinein verschoben.

Dabei lautet das Überlebensmotto für 2005: bloß nichts persönlich nehmen! Denn die persönliche Leistung entscheidet nur wenig über die Jobchancen. Eine große Rolle spielen vielmehr Branchenzugehörigkeit und Lebensalter.

Schwer tun sich die Angehörigen jener Branchen, die von der Nachfrage im Inland abhängig sind: Dazu gehören der Einzelhandel und besonders die Bauwirtschaft, wo auch 2005 mit Stellenabbau gerechnet wird. Besser geht es den Erwerbstätigen im exportabhängigen Maschinenbau und in der Computerbranche, wo Experten einen leichten Stellenzuwachs erwarten. Das Gesundheitswesen wiederum profitiert von der Alterung der Bevölkerung, auch hier soll die Zahl der Stellen steigen.

In den schwächelnden Branchen gehen hingegen zusätzlich noch soziale Sicherheiten flöten: Im Einzelhandel beispielsweise sinkt die Zahl der Vollzeitstellen, während die Minijobs boomen. Improvisationsvermögen ist also im Berufsleben 2005 angesagt. Das gilt auch für Akademiker. Die Arbeitslosenquote unter Studienabsolventen ist zwar immer noch vergleichsweise niedrig. Doch inzwischen gibt es diverse Beraterliteratur zur Frage, wie man sich als „Überqualifizierter“ auf Sekretärinnen- oder Sachbearbeiterstellen bewirbt.

2005 werden 61 Prozentder Erwerbstätigen vollzeitbeschäftigt sein, 1994 waren es noch 73

Nicht wenige Berufseinsteiger stecken inzwischen in „Praktikanten-Karrieren“ fest, ohne eine richtige Anstellung zu finden. Nach einer Umfrage der Kienbaum-Personalberatung zahlen viele Firmen ihren Praktikanten nur zwischen 400 und 600 Euro monatlich. Zumindest in den Großstädten erfordert die Praktikantenexistenz eine weitere Einkommensquelle. Die Einkommen der Eltern dürften deshalb wieder wichtiger werden – auch das ist ein Verschieben von sozialen Risiken in den privaten Bereich.

Aber nicht nur Berufseinsteiger, auch Ältere, die ihren Job verlieren, haben es besonders schwer: Der Geburtsdatums-Darwinismus beherrscht den Arbeitsmarkt. Die Diskussion über Altersdiskriminierung wird sich daher in diesem Jahr weiter verschärfen.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II – als Wundermittel gegen die Jobmisere gepriesen – zeitigt jedoch auch kuriose Effekte: Sie wird in diesem Jahr die Erwerbslosenzahlen in die Höhe treiben. Um das Arbeitslosengeld II zu bekommen, müssen sich nämlich auch alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger arbeitslos melden. Das IAB erwartet daher für 2005 unterm Strich eine Erhöhung der Arbeitslosenzahl um rund 50.000.

Damit die Statistik nicht allzu sehr die Laune versaut, wird von diesem Jahr an eine zusätzliche Arbeitslosenstatistik erhoben, nach den Kriterien der International Labour Organisation (ILO). Dabei werden bei einem festgelegten Sample an Personen die aktuellen Anstrengungen bei der Jobsuche abgefragt. Diese Arbeitslosenzahlen werden niedriger ausfallen als nach der deutschen Zählweise. Auch so lässt sich die Stimmung verbessern. Schließlich ist die Psychologie ja das Wichtigste in der Wirtschaft, auch 2005. Behaupten jedenfalls die Experten.