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Archiv-Artikel

„Ich kann im Call-Center alt werden“

HOLGER LORENZEN (40)

Man dürfe die Kunden nicht in Gedanken mit nach Hause nehmen, sagt Holger Lorenzen. „Sonst hält man das nicht lange durch.“ Der 40-Jährige arbeitet in einem Call-Center, seit fünfeinhalb Jahren. Sein Arbeitgeber „Stream“ sitzt in Berlin, betreut „namhafte Computerhersteller“. Wenn deren Kunden Probleme mit ihrem PC oder Zubehör haben, rufen sie im Call-Center an.

Dort meldet sich dann zum Beispiel Holger Lorenzen und klärt ab, wo das Problem liegt. „Freundlichkeit ist hier das Prinzip überhaupt“, sagt der 40-Jährige. In einer Schicht von 9 bis 21 Uhr rufen ununterbrochen Kunden an. Ein Gespräch kann fünf Minuten dauern, auch vierzig. Danach bleiben bis zu fünf Minuten für die Nachbearbeitung in einer Datenbank. Bis es wieder klingelt. Es falle ihm nicht schwer, ruhig zu bleiben. „Man darf sich nicht auf das Niveau herabbegeben, das einige Anrufer an den Tag legen.“ Manchmal, wenn Gespräche wirklich böse waren, geht er danach eine Zigarette rauchen.

Früher hat Lorenzen im Fleischgroßmarkt Akkord gearbeitet. Nach einem Unfall ging das nicht mehr. Umschulung zum Bürokaufmann, dann die Stelle im Call-Center. Er ist zufrieden. Er ist im Betriebsrat aktiv – dass es überhaupt einen gibt, sei in der Branche nicht selbstverständlich. „Wir haben flexible Arbeitszeitkonten und feste Pausenzeiten. Die Bedingungen müssen einfach stimmen, sonst könnte ich das nicht.“

Die Arbeit am Computer strengt an. Zermürbend kann es sein, Launen zu ertragen. „Viele Kunden sind aufgebracht, weil etwas nicht funktioniert“, so Lorenzen. Für diesen Einsatz wird nicht viel gezahlt. 1.200 Euro brutto verdient man als Einsteiger, hinzu kommt ein Bonus von ungefähr 250 Euro, wenn man die Vorgaben der Kunden erfüllt. Vorgaben darüber etwa, wie lange die Gespräche durchschnittlich dauern sollten. Die Firmen wollen sparen, der Preisdruck der Konkurrenz macht es den Call-Centern schwer. „Aber viele wissen auch, dass sie auf Qualität setzen müssen, um ihre Kunden zu halten“, meint Lorenzen.

Etwa zweimal im Monat schalten sich bei „Coachings“ Trainer in die Gespräche ein und checken, ob die Vorgaben eingehalten werden. Das sei eine „Hilfestellung, um gleich bleibende Freundlichkeit zu gewährleisten“, erklärt Holger Lorenzen, keine Überwachung. Die Mitarbeiter werden regelmäßig geschult. „Viele bei uns sind Computer-Freaks, denen macht das richtig Spaß.“

Ihm selbst gefällt die Arbeit mit Menschen. Wie lange er den Job machen wird, weiß er noch nicht. „Unter den Bedingungen, unter denen ich bei Stream arbeite, kann man auch im Call-Center alt werden“, sagt er. Aber vielleicht zieht es ihn irgendwann zurück in seine Heimat nach Schleswig. Vor über zwanzig Jahren hat er sie verlassen – wegen der Arbeit. JULIANE GRINGER