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Archiv-Artikel

Der glückliche Rastlose

taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 6): Nhoah Hoena ist Chef des Independentlabels r.o.t. Er arbeitet zwar viel, empfindet das aber nicht so. Denn Arbeit bedeutet für ihn oft auch Party machen

VON ANNA MECHLER

„Ich hatte heute Nacht nur vier Stunden Schlaf“, sagt Nhoah Hoena und hält sich die Hand vor den Mund. Das ist typisch für den Chef einer Plattenfirma. Seit 1998 gibt es das Independentlabel r.o.t. (respect or tolerate), das er zusammen mit zwei Freunden gegründet hat. Die drei haben den Laden aufgebaut und es geschafft, das Label über Berlin hinaus bekannt zu machen. Jeder hat zwar einen Aufgabenschwerpunkt, die aber gehen fließend ineinander über. Nhoah – wie er von allen nur genannt wird – bezeichnet sich als musikalischer Produzent und Geschäftsführer.

Vieles lässt sich mit ihm und seinen Geschäftspartnern nur am Abend bei einem Glas Wein klären. „Die besten Kontakte bekommt man beim Ausgehen. Da lernt man die Menschen erst auf einer persönlichen Ebene kennen und später dann auf der geschäftlichen“, berichtet der 43-Jährige. 90 Prozent der Leute, mit denen Nhoah zusammenarbeitet, habe er zunächst privat kennen gelernt. Dafür investiert er viel Energie, und das gerne: solange sich die Arbeit nur nicht wie Arbeit anfühlt. Die Steuererklärung oder Verträge lesen bedeutet für ihn puren Stress, während er – zumindest eigener Aussage zufolge – stundenlang Party machen kann, immer in der Hoffnung auf gute neue Kontakte. Man könnte den schlanken Mann mit den lockigen Haaren also als Workaholic bezeichnen. Er betont, dass ihm seine Arbeit selten als solche vorkommt.

Nach dem Akkordeon-, Schlagzeug- und Keyboard-Unterricht spielte Nhoah nach dem Abitur 1981 in diversen Bands. Ihm war klar, dass sein Beruf mit Musik zu tun haben musste. Schnell verlor der Autodidakt das Interesse am Musizieren. Spannender fand er das Umstrukturieren und Komponieren der Songs. Viele internationale Künstler wie David Hasselhoff und The Pogues wurden von ihm produziert. „Ziemlich schnell hatte ich das Glück, mit dem, was mir Spaß macht, Geld zu verdienen. Das Geld steckte ich dann in eigene Projekte.“

1998 kam die Idee, r.o.t zu gründen. Das Label sollte eine Schnittstelle zum Künstlerkollektiv sein. Der Hauptgedanke sei gewesen, nur noch Musik zu produzieren, die er – ganz einfach gesagt – super fände. Auftragsarbeit wollte Nhoah nicht mehr erledigen müssen, denn die mache ihn „nicht mehr glücklich“. Und selbst auf der Bühne stehen wollte er auch nicht mehr. Dass er für seine Idee Erspartes investieren musste, war ihm egal. Sein Job als Produzent und Labelchef erfüllt ihn künstlerisch aber noch nicht ganz. Deshalb fotografiert er nebenbei unter dem Pseudonym h.flug, macht die Bilder für seine Bands, organisiert Ausstellungen und ruft Kunstprojekte ins Leben. „Ich habe das Glück, momentan meinen Traum zu leben und damit finanziell gut über die Runden zu kommen“, sagt er selbstbewusst. Heute ist r.o.t. über Berlin hinaus bekannt. Das Steckenpferd ist immer noch die rasch vom Berliner Geheimtipp zum kommerziellen Erfolgsmodell avancierte Band „Mia“.

Nhoah ist inzwischen viel unterwegs für sein Label und für seine Projekte. Dieses Jahr sei er in elf Ländern gewesen, sagt der schmächtige Mann und zählt mit den Fingern noch einmal nach. Wenn es zeitlich geht, kommt am Wochenende seine zwölfjährige Tochter zu ihm. „Dass sie mich Papa nennt, ist mir immer noch fremd. Oft fühle ich mich gar nicht angesprochen. Ich liebe sie sehr, aber ich kann mich mit diesem Begriff wenig identifizieren.“ Als Talulah geboren wurde, versuchte der rastlose Nhoah, ein Familienmensch zu werden, zog in einen Außenbezirk von Berlin in ein Haus mit Garten. Eine Zeit lang ging das gut. Dann schrie das Nachtleben wieder nach ihm. Tanzen gehen und Leute treffen gehöre für ihn eben zum Leben. „Als ich in dieser Zeit nicht ausgegangen bin, kam ich mir vor wie ein eingesperrtes Tier. Irgendwann musste ich einfach raus – und dann ist es richtig aus mir ausgebrochen.“ Von seiner Frau, die genauso viel gearbeitet habe wie er, habe er sich nach 16 Jahren getrennt. Seit dieser Zeit versucht Nhoah sich wenigstens das Wochenende freizunehmen. Doch auch das gelingt ihm nicht immer.

Vor Arbeitslosigkeit hat Nhoah keine Angst. Dazu ist er zu optimistisch: „Ich werde immer eine Aufgabe haben, weil ich in sehr vielen Bereichen talentiert bin. Wovor ich eher Angst habe, ist, nicht alles zu schaffen, was ich möchte. Wenn ich damit mal kein Geld verdiene, wird die Welt nicht gleich untergehen.“