: Warum so viel Pech?
Nach ungewohnten Problemen hat die Rodlerin Sylke Otto wieder zurück in die Weltspitze gefunden
OBERHOF taz ■ Vertretern von Randsportarten passiert es nicht oft, dass sie erkannt werden, sobald sie sich abseits ihres Sportplatzes bewegen, und so war die Rennrodlerin Sylke Otto zunächst auch angenehm überrascht, als sich neulich in einem Oberhofer Hotel ein Mann nach ihr umdrehte und fragte: „Sie sind doch die Rodlerin?“ Einen Moment kramte er in seinem Gedächtnis nach dem Namen: „Silke, oder?“ – „Ja“, antwortete Sylke Otto lächelnd, ehe der Mann einen weiteren Namen zu Tage förderte, den er besser in den Tiefen seiner Erinnerung belassen hätte: „Silke Kraushaar, ja?“ Da gefror Sylke Otto das Lächeln und sie ließ den Rest der Konversation kühl über sich ergehen. „Wir haben nichts gemeinsam“, sagte die kleine, blonde Athletin später über ihre groß gewachsene, dunkelhaarige Konkurrentin, nicht einmal die Schreibweise des Vornamens. „Wir streiten nicht“, fuhr Sylke Otto fort, „aber wir haben uns auch nichts mehr zu sagen.“
Seit Olympia 2002 in Salt Lake City schwelt ein Konflikt zwischen den beiden erfolgreichsten deutschen Rennrodlerinnen der Gegenwart, zwischenzeitlich schien er gelöscht zu sein, aber nun flammt er offenbar wieder auf. Nachdem die in Zirndorf lebende Sylke Otto am Sonntag beim Weltcup auf Silke Kraushaars Heimbahn in Oberhof vor der Rivalin Zweite geworden war, sagte sie jedenfalls: „Dass ich vor Krausi eingekommen bin, macht mich total glücklich.“ Anscheinend sogar glücklicher als die Erkenntnis, wieder Anschluss an ihre früheren Erfolge gefunden zu haben mit einem Rückstand von nur 18 Tausendstelsekunden auf Siegerin Barbara Niedernhuber (Königssee), die derzeit Führende im Weltcup-Klassement.
Vor den nächsten Rennen am Mittwoch und Donnerstag auf ihrer Hausbahn in Königssee nimmt Barbara Niedernhuber den Platz ein, der jahrelang nur für Sylke Otto reserviert zu sein schien. Die hat nach ihrem Olympiasieg 2002 die Szene zeitweise beherrscht, wie nur wenige Sportler je ihre Disziplin dominiert haben. In der Saison 2002/03 gewann sie nur ein Rennen nicht, da wurde sie Zweite; auch im vorigen Winter lag sie im Weltcup nie schlechter als auf Rang zwei, umso irritierender waren ihre Ergebnisse zu Beginn dieser Saison: Platz 13 in Altenberg, Rang 9 in Sigulda, Achte in Lake Placid – Resultate, die Sylke Otto nicht gewohnt war. Die ersten Beobachter sahen Zeichen des Leistungsverfalls, was bei einer 35-Jährigen nicht verwundert hätte. „Es sind viele Dinge zusammengekommen bei ihr“, sagt der Bundestrainer Thomas Schwab, aber es war nichts dabei, was ihn hätte zweifeln lassen an ihrem Können.
Angefangen hatte Sylke Ottos Talfahrt mit einem neuen Schlitten, den sie mit ihrem Mechaniker Wolfgang Scholz im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2006 in Turin entwickeln wollte. „Stehen bleiben darf man nicht“, sagt Sylke Otto, „sonst kommt man nicht vorwärts.“ Weil sie wie Kraushaar und Niedernhuber gesetzt war für das Weltcup-Team, entschloss sie sich also zum Testen, mit Scholz feilte sie an der Verkleidung, um das Gefährt aerodynamischer zu machen. „Es sind eher nur Tausendstelsekunden, die man rausholen kann“, sagt sie, „aber ich habe schon Rennen mit einer Tausendstelsekunde verloren, da sind ein, zwei Tausendstel nicht schlecht.“
Es war nur so, dass sie keine Zeit gewann mit dem neuen Schlitten, sondern Zeit verlor. Sie stellte ihn beiseite, zumindest für diese Saison, und stieg um auf ihr gewohntes Gefährt. Aber sie war verunsichert, zumal trotzdem nicht alles glatt lief. In Altenberg warf sie eine Windböe aus der Spur, in Sigulda griff sie zu den falschen Kufen. „Sie hat sich nichts anmerken lassen“, sagt Trainer Schwab, „aber tief drinnen kratzt so was immer ein bisschen am Selbstvertrauen.“ Sylke Otto sagt: „Ich habe mich gefragt: Warum habe ich immer so viel Pech? Das hat mich fertig gemacht.“ Immerhin spürte sie die Unterstützung des Bundestrainers: „Das gab schon Mut, dass er einen nicht im Ungewissen lässt und an einem festhält.“
Nun scheint sie sich stabilisiert zu haben, bereits beim Weltcup in Calgary war sie Zweite, und vor Weihnachten gewann sie einen Team-internen Vergleich auf der Olympiabahn von Salt Lake City, dort, wo sie vor drei Jahren die Goldmedaille geholt hat; dort, wo im Februar auch die Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Den WM-Titel hat ihr Silke Kraushaar im vorigen Winter abgenommen, und Sylke Otto lässt wenig Zweifel daran, dass sie ihn sich zurückholen möchte. JOACHIM MÖLTER