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Archiv-Artikel

Kein Geplärr im Wartezimmer

Mit einem 24-stündigen Streik protestieren Frankreichs KinderärztInnen gegen Einkommensnachteile gegenüber den anderen medizinischen Fachrichtungen

PARIS taz ■ Je kleiner die PatientInnen, desto niedriger die Gebühren. Nach dieser Regel fühlen sich die rund 2.700 niedergelassenen KinderärztInnen in Frankreich im Stich gelassen: Sie werden trotz einer überdurchschnittlich langen Zusatzausbildung schlechter honoriert als andere FachärztInnen. Gestern traten sie deswegen in einen Streik. Die große Mehrheit ihrer Praxen sowie der kindermedizinischen Stationen in Privatkliniken blieb für 24 Stunden geschlossen. Ausnahme: Notfallbehandlungen.

Der „Tag ohne Kinderarzt“, wie die ständische Vereinigung SNPF ihre Aktion genannt hat, soll den KinderärztInnen höhere Honorare verschaffen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, was es bedeutet, wenn es keine KinderärztInnen mehr gibt. SNPF-Präsident Francis Rubel behauptet, schon 2010 werde es angesichts des niedrigen Einkommens 40 Prozent weniger KinderärztInnen geben als heute. Mit einer ähnlichen Aktion hatten die KinderärztInnen schon 2002 eine Gebührenerhöhung durchgesetzt. Auch andere FachärztInnen protestierten spektakulär. So machten GynäkologInnen einen Ultraschallstreik, und ChirurgInnen gingen für einen Tag ins „Exil“ nach London.

Tatsächlich verdienen niedergelassene KinderärztInnen in Frankreich mit ihrem Einkommen von durchschnittlich 48.000 Euro pro Jahr deutlich weniger als selbst ihre allgemeinmedizinischen KollegInnen. Ganz abgesehen von Apparatemedizinern wie Radiologen, die es in Frankreich auf rund 190.000 Euro pro Jahr bringen. Und schon jetzt geht die Zahl der niedergelassenen KinderärztInnen jährlich um bis zu 150 zurück: Wer in Rente geht, findet oft keine Nachfolge.

Im Vergleich mit den Nachbarländern freilich sind alle französischen ÄrztInnen „billig“. Auch deswegen hat sich in den vergangenen Jahren ein Medizintourismus von Großbritannien nach Frankreich etabliert. Im Norden des Landes sind mehrere Kliniken darauf spezialisiert.

Die KinderärztInnen dürfen bei Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy auf Verständnis hoffen. Das hat der Politiker, der früher selbst Arzt war, bereits gestern signalisiert. Vor allem will er künftig auch KinderärztInnen für Bereitschaftsdienste honorieren.

Am ersten Werktag im neuen Jahr trat gestern in Frankreich die große Gesundheitsreform in Kraft. Von nun an müssen auch in Frankreich die PatientInnen einen festen „behandelnden Arzt“ auswählen, der allein dazu berechtigt ist, sie auf Kassenkosten weiterzuüberweisen. Sie müssen künftig auch Eigenbeiträge zu den Arztgebühren zahlen: 1 Euro pro Praxisbesuch, maximal 50 Euro im Jahr. Ab dem Jahr 2007 sollen außerdem für alle PatientInnen elektronisch lesbare Dateien angelegt werden. Der gemeinsame deutsch-französische Nenner dieser Veränderung sind Einsparungen bei der gesetzlichen Krankenkasse.

DOROTHEA HAHN