Türkei: Ein Land verliert Millionen Millionäre

Früher gab es für einen Euro mehrere Millionen Lira, durch eine Währungsreform gibt es jetzt nur noch knapp zwei. Schuldenweltmeister bleibt das Land dennoch – fast die Hälfte des Staatshaushalts für den Schuldendienst

ISTANBUL taz ■ Punkt 0.00 Uhr 1. 1. 2005 sind in der Türkei Millionen von Millionären wieder zu ordinären Normalverdienern geworden. Mit einer kleiner Währungsreform, die außer der Ausgabe neuer Geldscheine und der Wiedereinführung von Münzen vor allem daraus besteht, dass sechs Nullen gestrichen wurden, werden stolze Besitzer von 1 Million Lira nun wieder zum gewöhnlichen 1-Lira-Empfänger.

Doch der Verlust ist zunächst nur virtuell. Anders als bei der Euro-Einführung muss man altes Geld nicht gleich in neues wechseln. Stattdessen wird es – wie einst beim Franc in Frankreich – für eine längere Frist alte neben neuer Lira geben. Erst 2006 werden die Millionen endgültig zum Altpapier.

Noch aber haben die neuen Scheine Seltenheitswert – der Zeitungshändler kann nur auf Nachfrage eine neue Lira Münze vorzeigen, die der 1-Euro-Münze verblüffend ähnlich sieht. Das hatte nach einem Bericht von Hürriyet scharfen Protest der EU-Kommission eingehandelt.

Die Einführung der neuen Lira hat nach allen bisherigen Informationen reibungslos geklappt. Bereits in der Neujahrsnacht konnte Ministerpräsident Tayyip Erdogan an einem Bankautomaten in der Provinzstadt Safranbolu demonstrativ neues Geld ziehen, die dazugehörigen Münzen musste ihm allerdings sein Finanzminister reichen. Für die türkische Regierung ist die Streichung der Nullen endgültiger Beleg dafür, dass die Zeiten galoppierender Inflation beendet sind. Nachdem die Türkei fast ein Vierteljahrhundert mit Inflationsraten um 100 Prozent im Jahr gelebt hat, lag die Preissteigerungsrate 2004 nur noch bei 10 Prozent. In den kommenden zwei Jahren soll sie auf unter 5 Prozent gesenkt werden.

Damit wird die türkische Währung im Bankenverkehr und internationalen Umgang bedeutend handlicher. Statt mit Millionen und Milliarden rechnen zu müssen, bekommt man nun für einen Euro knapp zwei Lira. Nicht nur optisch, sondern auch von der Substanz hofft die Türkei damit näher an den europäischen Währungsverbund heranzurücken. Das wird in der Praxis aber doch wesentlich schwieriger werden, als es die Operation der Nullenstreichung war. Die Türkei ist eines der weltweit am höchsten verschuldeten Länder. Fast die Hälfte des in der letzten Dezemberwoche verabschiedeten Haushalts für 2005, geht für den in- und ausländischen Schuldendienst drauf. Ein mit dem Internationalen Währungsfonds nach dem Beinahbankrott im Februar 2001 vereinbartes Stand-by-Abkommen – in dessen Rahmen die Türkei allein vom IWF rund 19 Milliarden Dollar erhalten hatte – lief 2004 aus. Ursprünglich hatte die türkische Regierung gehofft, danach den Schuldendienst aus eigener Kraft bewältigen zu können. Das hat sich als zu optimistisch herausgestellt: Ein neues Abkommen mit dem IWF musste her, das noch einmal 10 Milliarden Dollar bereitstellt.

Die Hoffnung der Regierung beruht nun darauf, dass mit Beginn der Beitrittsverhandlungen zur EU das Land für internationale Investoren attraktiver wird und deshalb mehr Kapital reinkommt. JÜRGEN GOTTSCHLICH

meinung und diskussion SEITE 11