: Winter unseres Missvergnügens
Der Protest gegen Hartz IV ist abgeflaut. Liegt’s an der Jahreszeit? Oder daran, dass Ver.di und Attac sich mit Unterstützung jetzt zurückhalten?
AUS BERLINULRIKE WINKELMANN
Die Menschen mögen ihre Kritik bitte „an die Politik“ richten – nicht gegen die Arbeitsagenturen. Dies richtete die Gewerkschaft Ver.di gestern via Handelsblatt den Bündnissen aus, die gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, genannt „Hartz IV“, protestierten.
Die Ver.di-Kritik am Protest sei jedoch mitnichten ein Beweis, dass die Gewerkschaften die Arbeitslosen nun im Stich lassen, erklärte Ver.di-Vorstandssekretär Wolfgang Pieper gestern der taz. Ver.di müsse sich aber vor die Beschäftigten der Arbeitsagenturen stellen, „denen ja nichts anderes übrig bleibt, als das Gesetz umzusetzen“.
Falsche Freunde
Pieper weist darauf hin, dass eine Behinderung der Bundesagentur für Arbeit (BA) und ihrer Filialen zudem auch falsche Freunde finde: Die Arbeitgeber versuchten, jede „Panne bei den Arbeitsagenturen nach oben zu spielen“. So dürfe auch die Einlassung des Arbeitgebervertreters im BA-Verwaltungsrat, Peter Clever, verstanden werden. Clever hatte am Wochenende die Leistungsfähigkeit der BA-Computer bezweifelt. Unterstellt wird seitens der Gewerkschaft, dass die Arbeitgeber an der Zerschlagung der BA, die 90.000 Menschen beschäftigt, interessiert sind.
Auch die Globalisierungskritiker von Attac hielten sich mit Unterstützung für die Protestler zurück. Eine bundesweite Attac-Mobilisierung gab es nicht, bloß regionale Teilnahme – etwa in Berlin. Auch Attac-Sprecher Malte Kreutzfeldt bestritt gestern jedoch gegenüber der taz, dass Attac sich um Arbeitslose und Hartz IV nicht mehr kümmere.
Vielmehr gebe es ein Dilemma in der der Wahrnehmung und Steuerung der Proteste. Im Sommer, als die Montagsdemos im Osten viel Aufruhr verursachten, „hieß es: Kaum ist irgendwo eine Demo, da muss Attac sich schon in die erste Reihe stellen“, sagt Kreutzfeldt. Also habe die prominente Organisation nicht den Betroffenen – die meisten von ihnen keine „Berufsdemonstranten“ – die Schau stehlen wollen.
Nicht zuletzt waren viele Demos von rechtslastigen oder politisch wirren Organisatoren beherrscht. Monatelang etwa lieferten sich die Attac-, Ver.di- und PDS-Bündnisse Management-Kämpfe mit der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD). Die Diskussion über die – inzwischen erfolgte – Gründung einer Linkspartei schreckte sowohl Betroffene als auch Aktivisten ab. „Und dann war eben auch niemand mehr da, der zentral kommunizierte“, nachdem Attac sich zurückgezogen habe, sagt Kreutzfeldt. Sowohl Ver.di – von den Gewerkschaften die am stärksten beteiligte – wie Attac bedauern, dass der sommerliche Protest gegen die Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Monaten abgeebbt ist. Bei Attac heißt es, nur mit Hilfe der Gewerkschaften wäre es gelungen, den Anti-Hartz-Protest auf ein breiteres Fundament zu stellen – also vor allem auch im Westen zu verankern.
Heraus zum 19. März!
Gewerkschafter Pieper erklärt dagegen, dass Ver.di eine Riesenorganisation sei, die auch noch andere Arbeit zu erledigen habe, als gegen ein bereits beschlossenes Gesetz zu kämpfen. So habe Ver.di sich auf einen Aktionstag im November 2003 und einen im Oktober 2004 konzentriert. Es sei im Übrigen nicht nur das Problem von Ver.di, „Menschen über längere Zeiträume hochgradig zu mobilisieren“, sagt Pieper.
Als nächsten gemeinsamen Aktionstermin nennt er den 19. März: Dann wollen die Gewerkschaften europaweit gegen Lohndumping protestieren. Da inzwischen selbst von der Bundesregierung signalisiert wird, dass etwa die Angleichung der Arbeitslosengeld-II-Sätze in Ost und West oder die Erhöhung der Zuverdienstmöglichkeiten diskutierbar sind, gibt es bis dahin vielleicht sogar noch kleine Anti-Hartz-Erfolge im Detail zu feiern.