: Ein Sushiladen, an dem nicht viel dran, der aber nett ist
NATALIE TENBERGS GASTRO- UND GESELLSCHAFTSKRITIK: Das Ishin in Berlin-Mitte gilt als „Mediensushi“
Der Höhepunkt im Jahr eines deutschen Angestellten ist ohne Zweifel der Jahresurlaub. Zumindest in der heteronormativen Ausrichtung. Da werden die Kinder und deren Kuscheltiere in den Familienkombi gepackt. Und dann fährt Vati so lange durch, bis mindestens zwei Landesgrenzen passiert sind. Ab dem nächsten Tag werden die Kinder zwei Wochen lang mit Sonnencreme eingeschmiert, die Eltern nehmen zwei Kilo zu, haben endlich mal wieder Sex und freuen sich einen Ast ab, wenn der Nachwuchs akzentfrei „Una Fanta Naranja, por favor“ sagen kann.
So viel zum großen Lauf der Dinge. Im Kleinen bietet der Alltag eine etwa 45-minütige Befreiung aus der Unterjochung: Das Mittagessen. Die krassen Zeiten, in denen erwartet wurde, diese Unterbrechung sei für sportliche Betätigung zu nutzen, sind passé, wie auch der regelmäßige Power Lunch mit Geschäftsbesprechung auf Firmenkreditkarte. In unseren wirtschaftlich schwierigen Zeiten darf man also wieder das tun, wonach es einem zwischen eins und drei ist – nämlich eine Kleinigkeit essen und dabei ein paar Gesichter sehen. Ein Lokal in Berlin-Mitte befriedigt dieses Bedürfnis besonders gut: das Ishin an der Mittelstraße.
Hinter vorgehaltener oder auch nicht vorgehaltener Hand wird es gerne „Mediensushi“ genannt, weil sich in der Warteschlange auf einen Tisch immer ein oder zwei Leute aus diesem Fach befinden. Aber vielleicht nennen es Menschen aus anderen Branchen auch ihrer Zunft entsprechend, also zum Beispiel „Bundestagssushi“. Oder „Studentensushi“.
Am treffendsten wäre vermutlich der Begriff „Sushiladen, an dem nicht viel dran ist, in dem man aber trotzdem ganz nett sitzen kann“. Die Einrichtung des Ishin nämlich, von dem es noch weitere Filialen in Berlin gibt, ist keine, für die sich viele Worte lohnen. Simple Stühle, rote Tische, Fliesenboden, über 100 Sitzplätze, die mittags auch fast alle besetzt sind, und große Fenster sollten für diesen Raum mit niedriger Decke reichen.
Auch die Karte dieses Lokals lässt sich leicht begreifen. Jedes Gericht wurde fotografiert, der Gast muss nur mit dem Finger auf das entsprechende Bildchen zeigen. Kurze Zeit später steht es dann auf dem langen Tisch, den man sich mit anderen Gästen teilt. Das Ume-Menü umfasst vier Nigiri, sechs Maki und zwei Futo-Maki. Die Nigiri- und Maki-Stücke schmecken erfreulich gut. Bodenständig. Wozu es aber so etwas wie die großen, runden Futo-Maki-Stücke gibt, ist fraglich. Menschen mit einem normal großen Mund haben damit nämlich Schwierigkeiten. Gänzlich ohne Probleme lässt sich das Katsuo Don essen, eine Reisschale mit Ingwer, Wasabi, Frühlingszwiebeln und Thunfisch, dadurch dem Sushi geschmacklich sehr ähnlich.
Wer nach dem Besuch im Ishin in Berlin-Mitte wieder an den Schreibtisch zurückkehrt, wird wahrscheinlich zufrieden sein. Zwar wird hier keine große, feine Küche angeboten, für solche Lokale aber hebt man sich sowieso meist den Abend auf. Oder den lang ersehnten Jahresurlaub.
ISHIN JAPANESE DELI, Mittelstr. 24, 10117 Berlin, (030) 20 67 48 29, www.ishin.de, Mo.–Sa. 11–22 Uhr, Happy Hour bis 16 Uhr: Katsuo Don 5 €, Ume-Menü 5,50 €Ľ AUSGEHTIPPS Zuletzt von der taz besprochen: DER KUCHENLADEN, Kantstr. 138, Natalie Tenberg: „Wunderbarer Rhabarberstreußel.“ KaDeWe. Tauentzien 10. 6. Stock, Restaurant Fischkutter. Natalie Tenberg: „Löst das Versprechen auf Erlebnis grandios ein.“ AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN GLÜCK, Nazarethkirchstr. 43. Kirsten Reinhardt: „Eine Herzensangelegenheit.“