: Hilfe, die Hilfe kommt
Milliarden für die Armen? Bei großen Hilfszusagen halten die Geber nicht immer, was sie versprechen
VON DOMINIC JOHNSON
Gigantische Geberkonferenzen sind Mode geworden in der Politik. 520 Millionen Dollar für Liberia; knapp eine Milliarde für Haiti; etwas über eine Milliarde für Burundi; 8,2 Milliarden für Afghanistan – das ist die stolze Bilanz von 2004. Im Oktober 2003 gab es bereits 33 Milliarden für Irak, Ende 2002 vier Milliarden für die Demokratische Republik Kongo. Ganz zu schweigen von den vielen laufenden Wiederaufbau- und Hilfsprogrammen vom Balkan bis nach Mosambik, der öffentlichen Entwicklungshilfe und der humanitären Nothilfe für Kriegs- und Katastrophenopfer in aller Welt, die im Jahr 2004 bei 5,1 Milliarden Dollar lag.
Nun aber stellt die Flutkatastrophe im Indischen Ozean alles in den Schatten. Die privaten Hilfswerke haben in einer Woche mehr Spenden eingenommen als im gesamten Jahr davor, die öffentlichen Hilfszusagen wuchern ins Uferlose: Weit über zwei Milliarden Dollar sind jetzt schon zusammengekommen, zehn Tage nach der Flut. Und das Jahr 2005 birgt noch weitere gigantische Herausforderungen: 1,4 Milliarden Dollar sucht die UNO für humanitäre Hilfe im Sudan, doppelt so viel wie im Vorjahr, und 1,7 Milliarden für andere humanitäre Krisen, vor allem in Afrika.
Nun muss man mit solchen Zahlen vorsichtig umgehen. Geberkonferenzen sind ein Ritual: Die zu unterstützende Regierung nennt eine Summe, die Konferenz gewährt davon etwa zwei Drittel – tatsächlich ausgezahlt werden davon wiederum höchstens ungefähr zwei Drittel, vieles davon in Form von Krediten und über mehrere Jahre gestreckt. Und manchmal ist es viel schlimmer: eine Milliarde Dollar versprachen Geber für den Wiederaufbau der zu Weihnachten 2003 von einem Erdbeben zerstörten iranischen Stadt Bam – rund 17 Millionen gaben sie.
Künstlich aufblähen kann man Hilfszusagen mit einfachen Tricks. Man kann Kosten in eine Hilfszusage hineinrechnen, die sowieso angefallen wären – Gehälter für die eigenen Experten etwa. Man kann mehr Katastrophenhilfe verkünden, ohne einen einzigen zusätzlichen Cent auszugeben – dann gibt es weniger Hilfe woanders, in Ländern wie Guinea-Bissau oder Eritrea. Man kann zugesagte Gelder erst Jahre später auszahlen – ein vor allem bei „Echo“, der humanitären Abteilung der EU beliebtes Verfahren, das Helfer zur Vorfinanzierung offiziell als EU-Nothilfe firmierender Spenden aus den eigenen Reserven zwingt.
Wenn die angekündigten Milliardenhilfen für Asiens Flutopfer doch keine Schaumschlägerei sein sollten, stellen sich andere Grundsatzfragen. Viele Regierungen, vor allem in Europa, fordern eine UN-geführte Wiederaufbauaktion in Asien, aber ihre Beiträge dazu wollen sie selbstverständlich selber festlegen. Und ihre Geldzusagen überlassen sie auch nicht der UNO, sondern setzen sie nach nationalen Präferenzen um. Wäre es anders, müssten beispielsweise Bundeswehrflugzeuge nicht prioritär deutsche Touristen aus Thailand ausfliegen, sondern die behandlungsbedürftigsten Opfer, unabhängig von ihrer Nationalität.
Dass nationale Hilfe schneller und einfacher ist als ein UN-Hilfsapparat, ist klar. Aber dann ist auch die Forderung nach einer UN-Koordination der Hilfe gegenstandslos. Es bleibt eine andere Forderung, die dieser Tage überraschend wenig zu hören ist: die nach Einhaltung von Mindeststandards bei der Nothilfe. Dabei geht es nicht nur darum, ob Spendengelder auch bei den Bedürftigen ankommen – sondern darum, was passiert, nachdem sie angekommen sind.
Seit mehreren Jahren läuft zwischen Hilfswerken eine Diskussion über „best practice“ in der Nothilfe unter UN-Ägide und Federführung Belgiens, Großbritanniens und Kanadas. Beim letzten Zusammentreffen ihrer Teilnehmer im Herbst 2004 wurden mehrere ungelöste Schlüsselprobleme ausgemacht: das Verhältnis zwischen Helfern und der Regierung des Empfängerlandes, das Verhältnis zwischen zivilen Helfern und Militär, die Rolle auswärtiger Hilfe bei der Förderung von Friedensprozessen sowie die Notwendigkeit für Helfer in solchen Prozessen, die sich verändernden politischen Rahmenbedingungen bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen. All dies wird auch bei den Hilfseinsätzen im Indischen Ozean wichtig sein.
Daher sind nicht die genauen Summen entscheidend, sondern ihre Verwendung. Weltweit leben Milliarden Menschen permanent unter den Bedingungen, gegen die jetzt in den Flutgebieten Abhilfe geschaffen werden soll: ohne Trinkwasser, ohne Behausung, ohne medizinische Versorgung oder Nahrungsmittelsicherheit. 1,4 Milliarden Menschen auf der Welt haben kein sauberes Wasser; im Laufe von zwei Wochen sterben in Asien genauso viele Menschen an vermeidbaren Krankheiten, wie der Flutkatastrophe zum Opfer gefallen sind. Würde humanitäre Hilfe in den nächsten Monaten weiter so reichlich sprudeln wie heute, könnten solche Missstände beseitigt werden. Aber davon ist bei den Fluthelfern keine Rede.