: Begrenztes Leben
Christine Jeffs Biopic „Sylvia“ widmet sich der Schriftstellerin Sylvia Plath, ohne sich von den Konventionen des Arthauskinos zu lösen: gedeckte Farben, gute Schauspieler und große Gefühle
VON SVEN VON REDEN
Sylvia Plath hasste Technicolor –wenn man ihrem Alter Ego Esther Greenwood aus „Die Glasglocke“ trauen darf. „In Technicolorfilmen fühlen sich anscheinend immer alle verpflichtet, in jeder Szene irgendein neues, grelles Kostüm anzuziehen und darin herumzustehen wie Kleiderpuppen, während im Hintergrund nach allen Richtungen meilenweit sehr grüne Bäume oder sehr gelber Weizen oder sehr blauer Ozean wogen“, schreibt sie über einen Kinobesuch im Jahre 1953.
Über eine zu lebhafte Farbgebung ihrer Filmbiografie „Sylvia“ könnte sich Sylvia Plath kaum beschweren. Die Palette von Regisseurin Christine Jeffs („Rain“) und Kameramann John Toon wird von herbstlichen Tönen bestimmt: Der Himmel leuchtet bestenfalls milchig grau, die braungrünen Interieurs lassen die Innenräume schrumpfen, und selbst wenn Plath ein rotes Kleid trägt, wirkt es wie zu oft gewaschen. Gedeckte Farben für die Bebilderung eines Lebens, das von Depressionen geprägt war und im Selbstmord endete – das kann man als triviale Doppelung sehen oder als adäquate visuelle Umsetzung innerer Zustände, aus der „Glasglocke“ ergibt sich diese Entscheidung jedenfalls nicht unbedingt. Plath kritisiert darin weniger eine optimistische Farbgebung als die Entscheidung, Technik zum Fetisch zu erheben, der Inhalte verdrängt oder gar selber zum Inhalt wird.
Die Befürchtung, dass „Sylvia“ einem anderen Fetisch huldigen werde, äußerte Plath’ Tochter Frieda Hughes schon im Vorfeld der Dreharbeiten: „They think I should give them my mother's words / To fill the mouth of their monster / Their Sylvia Suicide Doll“, schrieb die Schriftstellerin und Malerin in einem Gedicht für das britische Magazin Tatler. Die Erlaubnis, Texte ihrer Mutter zu verwenden, verweigerte sie den Filmemachern.
Die Sorge der Tochter, die nicht nur in diesem Fall streng über die Werke der Mutter wacht, ist verständlich. Plath vergiftete und vergaste sich 1963 in ihrer Küche, während im Nachbarzimmer die zweijährige Frieda und ihr einjähriger Bruder Nicholas schliefen. Und wie bei allen Künstlern, die Selbstmord begehen, wurde ihr (zu einem Großteil erst nach ihrem Tod veröffentlichtes) Werk daraufhin nur noch von diesem Endpunkt aus betrachtet und vermarktet.
Plath’ Freitod war das ultimative Authentizitätssiegel für das in ihrem Schreiben ausgedrückte Leiden an einer Welt, die einer talentierten und ambitionierten jungen Frau aus gutem Hause zugleich zu wenige und zu viele Möglichkeiten bot. Und so half „The Bell Jar“ seit den 60ern unzähligen empfindsamen Mittelklasse-Mädchen (und nicht wenigen Jungs), sich auf den verschlungenen Pfaden zum Erwachsenwerden mit seinen Selbstmordgedanken nicht alleine zu fühlen; Plath’ Gedichte wurden parallel dazu zu einem Lieblingsthema der feministischen Literaturwissenschaft.
In der New York Times erinnerte sich vor kurzem die Schriftstellerin Erica Jong, wie in den frühen Siebzigerjahren in New York ein Vortrag über Plath’ Gedichte und ihren Selbstmord von wütenden Protesten begleitet wurde, weil sie sich weigerte, zu verkünden, dass Plath’ Mann, der britische Schriftsteller Ted Hughes, „sie ermordet habe“. Zehn Jahre nach ihrem Tod war Plath also bereits eine überlebensgroßen Figur und zum Paradeopfer einer patriarchalen Gesellschaft hochstilisiert worden. Schließlich brachte sie sich wenige Monate nach der Trennung von Hughes um. Der hatte sie betrogen; seine Geliebte erwartete ein Kind von ihm.
Da sich „Sylvia“ gerade auf die schwierige Beziehung zwischen den beiden Künstlern und damit auf die Endphase von Plath’ Lebens konzentriert, bewegt er sich also auf besonders vermintem Gebiet (der ursprüngliche Titel „Ted and Sylvia“ wäre passender gewesen, aber offensichtlich versprachen sich die Produzenten mehr davon, die Wahrnehmung des Films auf den Plath-Mythos und die Celebrity-Power von Gwyneth Paltrow zu lenken).
„Sylvia“ macht eigentlich vieles richtig: Weder beschränkt er Hughes auf die Rolle des Machomonsters, noch reduziert er die Dichterin auf eine „Selbstmordpuppe“. Auch verlässt sich der Film kaum auf die üblichen Klischees der filmischen Künstlerbiografie. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Sie sind ihm verwehrt. Die Geschichte des Genies, das in den Himmel schießt, den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen scheint und all unsere Fantasien auslebt (Sex, Drogen, Ruhm, Rebellion gegen Konventionen), bevor es der Sonne zu nah kommt und abstürzt, damit wir in unserem mediokren Leben bestätigt das Kino verlassen können, diese Geschichte kann im Falle von Plath nicht erzählt werden.
„Für meine Generation, die ihren College-Abschluss Mitte der 60er gemacht haben, bevor die 60er die ‚Sixties‘ wurden, war Poesie Alraunenenwurzel – männlich, ein großer knorriger Phallus in der Erde“, schreibt Erica Jong. „Anatole Broyard, der Schriftsteller und Kritiker, erzählte meiner Schreibklasse am Barnard-College, Frauen hätten nicht die Erfahrungen, die Schriftsteller bräuchten. Wir betranken uns nicht in Bars am Pigalle oder vergnügten uns mit Huren in schmierigen Hotels an der Rive Gauche oder rannten mit den Stieren in Pamplona. Unsere Leben waren zu begrenzt.“
Von diesem begrenzten Leben erzählt „Sylvia“. Anders als die Männer, die die Biopics der letzten und kommenden Monate bevölkern, hat Plath zu Lebzeiten keine Reiche erobert oder in Schutt und Asche gelegt, keine Weltreligion gegründet, keine Revolution angeführt, keine Flugrekorde aufgestellt, keine neue Wissenschaft etabliert, keine Rassenschranken eingerissen und noch nicht einmal viele Männer verführt. Sie hebt nicht weit vom Boden ab und stürzt trotzdem. Das bietet den Filmemachern wenig Raum für große Dramatik, zumal sie behutsam jeder Spekulation und jeder Kontroverse aus dem Weg gehen. So sympathisch der Respekt vor der historischen Figur ist, durch diese Vermeidungsstrategie wirkt der Film letztlich leer. Daran kann weder die herausragende Leistung von Gwyneth Paltrow in der Titelrolle etwas ändern noch die Dauerbeschallung mit der elegisch-gefühlsschwangeren Filmmusik von Gabriel Yared, die einer emotionalen Erpressung gleichkommt.
Was „Sylvia“ fehlt, ist ein eigener filmischer Ansatz, der es erlauben würde, produktiv mit den Widersprüchen der Fusion des „Frauengenres“ Melodrama mit dem „Männergenre“ Biopic umzugehen, statt sich in die Konventionen des international vermarktbaren Arthauskinos zu flüchten: gedeckte Farben, gute Schauspieler und große Gefühle.