: „Weitere Steuerausfälle verhindern“
Deutsche Firmen würden ihre Gewinne den hiesigen Finanzämtern vorenthalten und im Ausland Steuern zahlen, sagt der grüne Wirtschaftsexperte Gerhard Schick. Deshalb plädiert er für ein neues EU-Steuerrecht für Unternehmen
taz: Herr Schick, der Europäische Gerichtshof (EuGH) produziert zurzeit serienmäßig milliardenteure Urteile zum Unternehmenssteuerrecht (siehe unten). Wie soll Hans Eichel reagieren?
Gerhard Schick: Die EU-Regierungen müssen jetzt ein gemeinsames europäisches Unternehmenssteuerrecht schaffen. Die Politik hat zu lange geglaubt, sie könne EU-Ausländer im Steuerrecht weiterhin anders behandeln als Inländer. Deshalb erinnert der EuGH daran, dass das Steuerrecht den Binnenmarkt nicht behindern darf. Das ist im Prinzip gut. Gut ist auch, dass die teuren Urteile die Bundesregierung aufgeschreckt haben.
Wollen Sie, dass in ganz Europa die gleichen Steuersätze gelten?
Nein, das ist nicht notwendig. Aber überall soll der zu besteuernde Gewinn gleich berechnet werden. Wir müssen verhindern, dass Gewinne durch Bilanztricks immer dorthin verschoben werden, wo die Steuern besonders niedrig sind. Heute gilt doch: Die Gewinne werden in Deutschland erwirtschaftet, aber im Ausland versteuert.
Bringt ein europäisches Steuerrecht dem Staat also mehr Einnahmen?
Nicht unbedingt. Denn auf der anderen Seite muss man es natürlich zulassen, dass Gewinne im Inland mit Verlusten von ausländischen Töchtern verrechnet werden können. Eine Europäisierung des Steuerrechts würde aber zumindest weitere dramatische Einnahmeausfälle verhindern. Wenn nichts passiert, wird der EuGH noch weitere große Löcher in das ohnehin löchrige Steuerrecht schießen.
Die Wirtschaft wird wohl gegen eine Europäisierung sein.
Bisher ist sie es nicht. Ein gemeinsames europäisches Steuerrecht verhindert ja auch viel unnötige Bürokratie. Es ist für ein Unternehmen doch attraktiv, wenn es nur noch eine einzige Steuerbilanz für alle EU-Staaten erstellen muss.
Warum hat es bisher dafür so wenige Initiativen gegeben?
Die EU-Verträge erlauben europäische Rechtsetzung bei direkten Steuern nur mit Einstimmigkeit im Ministerrat. Das macht Verhandlungen zäh und langwierig, wie man bei der EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung gesehen hat.
Ändert sich das, wenn die EU-Verfassung in Kraft tritt?
Leider nicht. Staaten, die bisher von der Gewinnverlagerung profitieren – Belgien, Irland, Österreich, die Niederlande und Großbritannien –, können also versuchen, eine Harmonisierung zu behindern.
Wie soll das Projekt dann Erfolg haben?
Seit einigen Jahren sehen die EU-Verträge die Möglichkeit vor, dass sich acht Staaten zusammentun, um gemeinsam in einem bestimmten Politikfeld voranzuschreiten. Das Steuerrecht wäre der ideale Testfall für diese bisher kaum genutzte Möglichkeit.
Die Unternehmen könnten ihre Gewinne dann aber nach wie vor etwa auf die Niederländischen Antillen verschieben …
Natürlich wird es zunächst weiterhin Schlupflöcher geben. Aber es könnte ein Sog zum Mitmachen entstehen, weil ein einfaches und transparentes europäisches Steuerrecht für die teilnehmenden Staaten und ihre Unternehmen attraktiv ist.
Sie glauben an einfache und transparente Lösungen in der Europäischen Union?
Im Vergleich mit dem Istzustand kann es fast nur besser werden. Derzeit existieren hunderte von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den 25 EU-Staaten und mit Drittstaaten. Wenn dieses Dickicht auf wenige Abkommen reduziert würde, wäre das ein Gewinn für alle.
Gibt es schon Ansätze für ein europäisches Unternehmenssteuerrecht?
Die EU-Kommission hat im Jahr 2001 einen Vorschlag für eine „einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage“ vorgelegt. Die Diskussion darüber hat in den letzten Monaten, auch unter dem Eindruck der EuGH-Urteile, deutlich an Schwung gewonnen. Die Bundesregierung muss hier aber eine noch aktivere Rolle einnehmen. Sonst ist sie mit schuld, wenn ihr immer mehr die Einnahmen wegbrechen.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH