: Genug ist nicht genug
„Ärzte ohne Grenzen“ wollen keine Spenden mehr für die Tsunami-Opfer. Andere Verbände werfen ihnen vor, Spendenwillige zu verunsichern
BERLIN taz ■ In zehn Tagen nahm „Ärzte ohne Grenzen“ 30 Millionen Euro Spenden ein – beinahe doppelt so viel, wie die Hilfsorganisation 2003 insgesamt einnahm. Seit Silvester bitten die Ärzte ihre Spender schon, lieber ohne Stichwort „Seebeben“ zu spenden, aus Sorge, nicht alles Geld für die Hilfe in Südostasien ausgeben zu können. Gestern nun machte der Verband definitiv die Schotten dicht: „Zweckgebundene Spenden für die Krisenregion Südostasien können wir leider nicht mehr annehmen“, schreibt er auf seiner Homepage. Ein Hilfsverband überwältigt vom Erfolg.
Doch weil die Hilfsorganisation ihre bremsende Botschaft seit dem Wochenende auch in der Tagesschau zur besten Sendezeit kommuniziert, ist die Konkurrenz nun sauer. „Dadurch werden Spender abgeschreckt“, schimpft Paul Bendix, Direktor von Oxfam Deutschland, gegenüber der taz. „Bei uns rufen schon die Spendenwilligen an und fragen, braucht ihr das Geld überhaupt noch.“ Bei der hierzulande noch nicht so bekannten deutschen Sektion von Oxfam gingen erst 60.000 Euro ein.
Mehr als 160 Millionen Euro haben die Deutschen bislang für die Flutopfer gespendet, mehr als 40 Millionen kamen allein bei der ZDF-Gala am Dienstagabend zusammen. Alles deutet darauf hin, dass die Spenden noch die 240 Millionen Euro übertreffen, die zur Elbflut 2002 von den großen Hilfsorganisationen gesammelt wurden. Und diese können in Südostasien nach eigenem Bekunden noch jeden Euro gebrauchen, um beim Wiederaufbau zu helfen. Der könne sich schließlich über fünf bis zehn Jahre hinziehen. Da aber die „Ärzte ohne Grenzen“ ausschließlich Nothilfe leisten, können sie kein Geld mehr annehmen. „Wir sind völlig überwältigt“, sagt die Geschäftsführerin Ulrike von Pilar. Auch die französische Sektion des Verbandes nimmt seit Dienstag keine Spenden für das Seebeben mehr an. Stattdessen wird um freie Spenden gebeten: „Auch im Sudan, in Kongo oder in Uganda brauchen die Menschen dringend Hilfe.“
Oxfam-Direktor Bendix glaubt nicht, dass das funktioniert: „Die Leute, die jetzt anrufen, wollen fürs Seebeben spenden – nicht für eine andere Sache.“ Besonders erbost ist Bendix über die Aussagen von „Ärzte ohne Grenzen“, es sei ein Ausdruck von „Ehrenhaftigkeit gegenüber den Spendern“, zu sagen, wenn man das Geld nicht mehr sinnvoll einsetzen könne. „Damit unterstellen sie uns, dass wir es nicht sind.“ In einem Punkt ist Bendix jedoch mit den Ärzten einig, dass es nämlich diverse „vergessene Konflikte“ gibt – für die auch mehr gespendet werden sollte. „Die Bilder, die man jetzt aus Sri Lanka und Indonesien sieht“, sagt Bendix, „könnte man auch aus Darfur oder dem Kongo zeigen.“
„Die Flut zieht fast alles an sich“, ergänzt Lübbo Roewer, Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes. Im vorigen Jahr seien alle Spenden an den Sudan gegangen. Damals machte das Rote Kreuz Veranstaltungen unter dem Motto „Vergesst Südasien nicht!“, weil für den Kampf gegen Hochwasser nicht genug zusammenkam. MATTHIAS URBACH