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Archiv-Artikel

Der Buchtipp

Leben im Krieg

Kosovo, Libanon, Nicaragua, Rumänien, New York, Pakistan, Afghanistan, Kolumbien, Irak: Die Philosophin und Spiegel-Korrespondentin Carolin Emcke hat ihre gesammelten Kriegs- und Krisenerfahrungen in Buchform veröffentlicht. Entstanden als „Briefe an Freunde“ handelt es sich um den Versuch, ihre Erfahrungen abseits der Reportagen zu verarbeiten, aus diesen Erfahrungen Erkenntnisse zu gewinnen und den Krieg – im philosophischen Sinne – zu verstehen. Sie trifft Arbeiter in den Ausbeuterfabriken Nicaraguas, verhungerte Straßenkinder in Rumänien, vom Krieg versehrte Dorfbewohner im Kosovo – überall hört sie sich ihre Geschichten an. Die Erzählungen, die dabei herauskommen, sind so eindrücklich wie sensibel. Und dennoch: Nach einer gewissen Zeit beschleicht den Leser ein unangenehmes Gefühl. Geht es tatsächlich ums Verstehen oder doch ums Erklären? Was einst Heinrich Böll in seinem „Irischen Tagebuch“ so eindrucksvoll vorgemacht hatte – einem Iren klar zu machen, dass an Hitler so gar nichts vom tragischen Helden war –, gerinnt bei ihr zu dem fast zwanghaften Versuch, dem Gegenüber die eigene Position zu erläutern. Der Kurde in Nordirak kann zwar nicht verstehen, warum die Deutschen sich nicht am Sturz Saddams Husseins beteiligen, aber anhören muss er sich Emckes Haltung doch: „Wir diskutieren lange, immer wieder ringen wir um das Verständnis des anderen, räumen Vorurteile aus, erklären dem anderen, was unverständlich bleibt an der eigenen Kultur.“

Dieses Erklärungsbedürfnis, das sie gerade auch dem Leser gegenüber hat, ist als Motivation für das eigene Schreiben sehr wohl nachvollziehbar: „Mehr und mehr wurden die Briefe zu einer brauchbaren Form, über das Erlebte noch einmal nachzudenken und mir so die Rückkehr in mein Berliner Leben zu erleichtern.“ Der beeindruckend hohe Reflexionsgrad, über den die Texte verfügen, wird aber durch die Belehrungsversuche der realen wie imaginierten Gegenüber eingeschränkt. Im Libanon zum Beispiel äußert sich ein arabischer Fotograf abfällig über „die Juden“ und bringt Hitler ins Spiel. Was passiert? „Ich redete über eine Stunde lang.“

        MARTIN HAGER

Carolin Emcke: „Von den Kriegen. Briefe an Freunde“. Fischer Verlag 2004, 315 Seiten, geb., 18,90 € „Kollektive Identitäten. Sozialphilosophische Grundlagen“. Campus Verlag, 360 Seiten, brosch., 39,90 €