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Archiv-Artikel

„… sondern sie sei still“

VERKÜNDIGUNGSVERBOT In der Bremer Kirche St. Martini dürfen Frauen nicht auf die Kanzel. Die liberale Kirchenverfassung deckt diese Diskriminierung

Gemeindeordnung à la Timotheus: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre“

Das schönste Bremer Gotteshaus steht direkt an der Weser: St. Martini, einen Steinwurf vom Markt entfernt, ist ein gotischer Ziegelbau aus dem späten Mittelalter mit idyllischem Pfarrgarten. Doch während sich alle übrigen evangelischen Kirchen der Stadt derzeit mit einem grünen Banner zur Begrüßung der Kirchentagsbesucher schmücken, ist vor St. Martini nur ein trotzig wirkendes Schild in den Boden gerammt: „Christus ist auferstanden!“ steht da. Ausrufezeichen.

Genau genommen ist ja Jesus auferstanden und dadurch erst „Christus“ geworden. Aber so präzise geht die sich als „bibeltreu“ verstehende Gemeinde mit der Heiligen Schrift dann offenbar doch nicht um. Mit dem ersten Timotheus-Brief allerdings schon: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.“ So steht es in Timotheus 2,12 – und seit 2000 auch in der „Lebensordnung“ der Gemeinde.

Vor genau einem Jahr führte dieser lange unbeachtete Passus zu einem erbitterten Streit, der durchaus das Zeug hat, eines Tages als „Kanzel-Eklat“ in die Bremer Kirchengeschichte einzugehen: Während der Beerdigung eines Reederei-Mitarbeiters, die vertretungsweise von einer Pfarrerin geleitet werden sollte, fiel der Martini-Pastor seiner Kollegin in den Arm: Sie solle bitte schön den Talar ausziehen und auch die Kanzel nicht besteigen. Die Angehörigen, selbst Gäste im Gotteshaus, reagierten geschockt.

Eine der vielen Absurditäten dieser Geschichte besteht darin, dass der von Pastor Olaf Latzel so vehement verteidigte Lebensordnungsparagraf zwar die Berufung ins reguläre Pfarramt regelt, aber nicht, was Gäste nicht dürfen. Noch kurioser ist freilich, dass der noch neue, vermeintlich überreagierende Pfarrer eine Pastorin als Schwester hat – und auf seiner vorherigen Stelle problemlos mit Kolleginnen zusammenarbeitete.

Nach alldem hätte man erwarten können, der Gemeindevorstand würde rasch einlenken und sich bei der düpierten Bremer Pastorin sowie den Angehörigen entschuldigen. Stattdessen bunkerte er sich ein: „Wir wehren uns dagegen, in eine fundamentalistische Ecke gedrängt und als rückständig bezeichnet zu werden“, erklärte die Gemeinde auf ihrer Homepage. Gegenüber der taz betonte Latzel das Recht der Gemeinde, ihre Angelegenheiten auch ohne passenden „Lebensordnungs“-Paragrafen frei zu gestalten.

Dabei hat er die bremische Kirchenverfassung durchaus auf seiner Seite: Sie gesteht ihren 64 Gemeinden uneingeschränkte „Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit“ zu – eine Liberalität, die es in keiner anderen evangelischen Landeskirche in Deutschland gibt. Aber die Bremer Evangelische Kirche (BEK) ist ohnehin eine einzigartige Konstruktion: Sie definiert sich als freiwilliger Zusammenschluss der Einzelgemeinden, ist deswegen im Gegensatz zu ihren reformierten, lutherischen oder unierten Schwestern konfessionell ungebunden und überlässt jedem Einzelnen die freie Gemeindewahl. Ein geradezu basisdemokratisches Modell, möchte man meinen – das freilich auch Auswüchsen wie den diskriminierenden Martini-Regelungen Raum gibt.

Die BEK hat in der Frage der Kanzelzulassung keinerlei Weisungsbefugnis, betont BEK-Sprecherin Sabine Hatscher auch ein Jahr nach dem Eklat noch. BEK-Schriftführer Renke Brahms – der theologische Repräsentant der Bremer Protestanten muss sich mit diesem bescheidenen Titel begnügen – habe mittlerweile ein eindringliches Gespräch geführt, das gemeindeintern noch nachwirke.

Dieser Hoffnung steht freilich entgegen, dass sich der Vorstand seinerzeit einstimmig hinter das Vorgehen des Pastors stellte – inklusive des Votums der beiden weiblichen Gremiumsmitglieder. Dabei führten sie unter anderem ein nicht von der Hand zu weisendes Argument ins Feld: Die „Ablehnung der Frau im Verkündigungsamt“ gelte schließlich „bei der Mehrheit der Christen weltweit“.

Neben diesem ungewöhnlichen ökumenischen Ansatz hat St. Martini eine weitere Besonderheit zu bieten: Sie ist nach bisherigem Forschungsstand die erste deutsche Kirche überhaupt, in der mit der Amerikanerin Anna Howard Shaw gastweise eine Pastorin predigte. Das war 1904.

HENNING BLEYL