Die Zeitansage fällt eher dürftig aus

FINANZKRISE Es hat schon Tradition, dass Wirtschaftsthemen an Kirchentagen eher am Rande vorkommen. So auch in Bremen. Es wird nicht grundsätzlich über die Krise nachgedacht. Dabei sind die Gemeinden meist kapitalismuskritisch. Und die Kirche selbst ist von der Krise stark betroffen

VON ULRIKE HERRMANN

Die Welt wird durch die schwerste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg erschüttert – aber auf dem Evangelischen Kirchentag kommt der Crash kaum vor. Über 2.500 Veranstaltungen stehen in Bremen auf dem Programm, doch mit der globalen Rezession befassen sich vielleicht 20 Angebote – wenn man großzügig zählt.

In der Außendarstellung klingt dies allerdings anders: „Im Mittelpunkt werden die sozialen Auswirkungen der Krise stehen“, versprach Kirchentagspräsidentin Karin von Welck, als sie im März das Programm vorstellte. Auch der Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber hoffte jüngst auf eine „Zeitansage“ angesichts der „Notwendigkeit, Globalisierung neu zu denken“.

Faktisch jedoch sind nur zwei Podien zur Finanzkrise prominent besetzt: Am Donnerstagabend diskutiert Exbundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick. Am Freitagnachmittag treffen dann der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, Hans-Helmut Krotz von der Bundesbank, Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sowie der Schweizer Bankdirektor Hans-Peter Portmann aufeinander. Ansonsten aber bietet sich wenig Gelegenheit für die Gläubigen, die Finanzkrise zu diskutieren.

Ein Grund mag sein, dass die Kernthemen des Kirchentages schon im Frühjahr 2008 festgezurrt wurden. „Die Organisation ist relativ unbeweglich“, stellt Klaus Heidel fest, der der badischen Synode angehört. „Das ist der Preis für die Professionalität.“ Allerdings wäre es noch Monate lang möglich gewesen, Veranstaltungen zur Finanzkrise nachzumelden. Bisher jedoch, so hat Heidel beobachtet, sei in den Gemeinden nur eine „diffuse Angst“ vor den Folgen des Crashs angekommen. „Es wird nicht grundsätzlich über die Krise nachgedacht“, stellt Heidel fest. Er arbeitet hauptamtlich bei der Werkstatt Ökonomie in Heidelberg, die sich als kirchennahe NGO mit entwicklungspolitischen und sozialen Themen befasst.

Kritiker wurden weggespart

Zudem fehlen der Kirche inzwischen die Institutionen, die sich noch kritisch mit der Wirtschaftsordnung auseinandersetzen könnten. Viele sozial-ethische Lehrstühle wurden abgeschafft und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) stark geschrumpft. Manche Landeskirchen haben ihn schon ganz aufgelöst. Entsprechend dünn fällt die Präsenz auf dem Kirchentag aus: Im gedruckten Programm findet sich nur ein einziger KDA-Beitrag: die Foto-Ausstellung „Gesichter der Armut“.

Dabei hat der KDA gerade eine Broschüre zur Leiharbeit herausgebracht – doch auf dem Kirchentag wird dazu nichts angeboten. „Momentan fehlt uns die Schlagkraft“, erklärt Michael Klatt, Landessozialpfarrer in Hannover und stellvertretender KDA-Vorsitzender. Denn seine Organisation muss sehen, wie sie mit den immer knapperen Mitteln zurechtkommt – und strukturiert daher die Bundesgeschäftsstelle neu. Das blockiert auf Monate. „Wir bündeln unsere Kräfte für München“, verspricht Klatt. Dort findet im nächsten Jahr der Ökumenische Kirchentag statt.

Die interne Kirchenreform schwächt auch andere Kirchenteile. So ist aus Hamburg zu hören, dass man sich dort ebenfalls eher auf den Kirchentag in München konzentriert. Denn die Zusammenlegung der Kirchenkreise hat das ganze Machtgefüge im Norden durcheinandergebracht: „Manche werden Propst, andere sind es nicht mehr – damit sind hier alle beschäftigt.“

Manager meiden Kirchentag

Bei den Kirchentagen hat es allerdings Tradition, dass Wirtschaftsthemen eher am Rande vorkommen. Besonders deutlich fiel dies schon beim letzten Kirchentag in Köln auf, der unter dem Motto stand „Globalisierung neu denken“. Das evangelische Magazin chrismon monierte hinterher, dass sich auf den Podien „meist Geistliche und Politiker“ trafen – „doch es fehlten die anderen Global Player, die Spitzen aus Firmen, Aufsichtsräten und Gewerkschaften“.

Diese Einseitigkeit ist jedoch nicht nur den Organisatoren anzulasten. Auch bei den Unternehmen herrscht kein allzu großes Bedürfnis, mit den Gläubigen zu debattieren, wie sich bei der Vorbereitung für den Bremer Kirchentag erneut zeigte. „Man muss kein Geheimnis daraus machen, dass wir uns intensiv um Wirtschaftsvertreter bemüht haben“, sagt Rüdiger Runge, Pressesprecher des Kirchentages. „Doch die Spitzen aus Wirtschaft und Banken drängen sich nicht danach, sich Diskussionen über die Finanzkrise zu stellen.“ Wenn überhaupt Manager nach Bremen kommen, dann sprechen sie lieber über fachfremde Themen: So nimmt BDI-Präsident Hans-Peter Keitel am Freitagnachmittag an einem Podium teil, das den Titel trägt „Das Beste für unser Kind?“

Vielleicht wird auf dem Kirchentag über die Finanzkrise aber auch so wenig debattiert, weil sich viele Gläubige sowieso bestätigt sehen. „Die Gemeinden sind durchweg kapitalismuskritisch“, hat der Berliner Volkswirt Gert Wagner beobachtet, der zurzeit Vorsitzender der EKD-Kammer für soziale Ordnung ist.

Aber die Kritik verdichtet sich nur selten zu deutlichen Forderungen. Eine Ausnahme war die EKD-Synode im November. Damals verabschiedete das Kirchenparlament ein zweiseitiges Papier, das präzise aufgelistet hat, wie die Finanzmärkte künftig zu regulieren seien, damit nicht „Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden“. Knapp und kompetent handelte man unter anderem Rating-Agenturen, Hedgefonds oder die Eigenkapitalausstattung der Banken ab.

Folgen hatte dieser Synodenbeschluss nicht, jedenfalls nicht für EKD-Chef Wolfgang Huber. Er meidet auch weiterhin konkrete Aussagen und kritisiert lieber in allgemeinen Worten, dass das „Geld zum Gott geworden“ sei und auf den Finanzmärkten ein „Tanz um das goldene Kalb“ stattgefunden hätte.

Deutlich wird Huber hingegen, wenn es gilt, den gesellschaftlichen Einfluss der Institution Kirche zu steigern. So wollte er in Berlin unbedingt den konfessionellen Religionsunterricht durchsetzen und unterstützte vehement das Volksbegehren Pro Reli. Für die Finanzkrise war da wenig Zeit. Diesen Trend beobachtet NGO-Mitarbeiter Heidel häufig beim Establishment der Kirche: „Es blockiert natürlich die Wahrnehmung, wenn man sich vor allem dafür interessiert, wie der Religionsunterricht aussieht.“

Kirche verspekuliert sich

Dabei geht die Finanzkrise auch an der Kirche nicht spurlos vorbei, sondern reißt tiefe Löcher in die Etats der Gemeinden. Besonderes Aufsehen erregte die Landeskirche Oldenburg. Sie verlor 4,3 Millionen Euro, weil sie ihr Geld zum Teil bei Lehman Brothers angelegt hatte.

Bundesweit ergoss sich Häme über die Norddeutschen. Es war wohl nur Glück, dass es keine weiteren Landeskirchen traf. „Es ist purer Zufall, dass wir keine Lehman-Zertifikate hatten“, gibt Oberkirchenrat Thomas Begrich freimütig zu. Er leitet die EKD-Finanzabteilung. Denn viele Landeskirchen investieren auf dem internationalen Kapitalmarkt, um ihre Rendite zu steigern. „Wichtig ist die Risikostreuung“, sagt Begrich. Auch die Oldenburger hatten diese Regel befolgt: Trotz der Lehman-Pleite sind laut Medienberichten noch immer fast 118 Millionen Euro an Finanzvermögen übrig.

„Die Kirche ist ein konventioneller Anleger“, sagt Begrich, der das Finanzvermögen insgesamt auf rund 4 Milliarden Euro schätzt. Hinzu kommen die Milliardenrückstellungen für die Pfarrerspensionen. Mehr als die Hälfte dieses Geldes verlässt die Kirche nie: Es wird bei den kirchlichen Hausbanken angelegt, die dann wiederum Darlehen an kirchliche Einrichtungen wie die Diakonie vergeben. Dieser Kreislauf ist absolut sicher, allerdings nicht besonders renditeträchtig. Deswegen war der Ausflug auf die Kapitalmärkte ja so attraktiv – bis zum Crash.

Mögliche Spekulationsverluste sind dabei gar nicht das Problem beim Engagement auf den Finanzmärkten. Stattdessen hat die Krise einen unangenehmen Nebeneffekt, der den Kirchen wirklich zu schaffen macht: Die Guthabenzinsen sind dramatisch gesunken, seitdem die Notenbanken die Märkte mit Geld überfluten. Der Vermögensaufbau in den Pensionskassen stockt – das werden die Pfarrer noch in Jahren zu spüren bekommen.

Gleichzeitig sinken die Kirchensteuern, sie dürften in diesem Jahr um 400 Millionen Euro einbrechen, wie Begrich schätzt. Das wäre ein Minus von 10 Prozent.

Noch können die Kirchen von den beiden vergangenen Jahren zehren, als der Boom dafür sorgte, dass weit mehr Steuergelder in die Kassen flossen als eingeplant. Doch demnächst wird es knapp. „Wir kommen mit einem blauen Auge davon“, glaubt Begrich. „Aber nur, wenn die Wirtschaftskrise nicht länger als zwei Jahre dauert.“