: Als die Bilder das Laufen verlernten
Von rechts oben nach links unten oder auch jedes für sich und ganz diskontinuierlich: Das Künstlerduo M + M stellt mit der Ausstellung „On Film“ im Fotomuseum Fragen nach den Grenzbereichen zwischen dem Film und der Fotografie
Dass eine Ausstellung im Museum für Fotografie den Titel „On Film“ trägt, überrascht zunächst. Und ist doch sehr zutreffend für die Arbeiten des Künstlerduos M + M, die das Haus an der Jebensstraße derzeit präsentiert. Marc Weis und Martin DeMattia geht es um die Grenzen der Fotografie, um den Grenzbereich von Fotografie und Film, dieser beiden verschwisterten Medien, die technisch und historisch betrachtet so nahe liegen und die doch so vieles trennt.
Eröffnet wird die Schau mit dem Zyklus „kurz vor fünf“. Schier endlose Reihen fotografischer Einzelbilder fügen sich zusammen zu großformatigen Werken – von weitem wirken sie pixelartig, flimmernd wie ein Bildschirm mit schlechter Auflösung. Basis für die Fotosequenzen sind Stills, eingefrorene Momente eines Films, die jeweils um kurz vor fünf Mitteleuropäischer Zeit in verschiedenen Metropolen der Welt aufgenommen wurden. Ein Zeitpunkt – und doch ganz unterschiedliche Zeiten: früher Abend in Dänemark, ein Vormittag in den USA, die tiefe Nacht in China … Man muss ganz nah herantreten an diese Bilder, um etwas zu erkennen, um die Details zu sehen, die die einzelnen Tafeln miteinander verbinden. Bilder aus einer vernetzten, telepräsenten Welt, Momentaufnahmen, in deren Simultanität das Disparate umso stärker einbricht.
Die Reihe „in front“ im zweiten Saal der Ausstellung funktioniert nach dem gleichen Prinzip, doch sind die Ausgangsmotive hier Fernsehnachrichten von spektakulären Ereignissen der vergangenen Jahre. „Erfurt“, der „Kannibale von Rotenburg“, George W. Bush, Fahndungsbilder zu 9/11 – allesamt Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben, und die gerade aufgrund dieser Selbstverständlichkeit ihre Irritation entfalten. Vor den einzelnen Fototableaus stehend, kann man den Blick von rechts oben nach links unten schweifen lassen, die zerstückelten Momentaufnahmen zu einem „Film“ zusammenfügen. Man kann es aber auch lassen. Und sich auf die Aufschübe, das Fragmentarische einlassen. Aus ihrem Kontext, aus ihrer zeitlichen Abfolge gerissen, entfalten die Bilder neue Bedeutungsebenen, wird die Verknüpfung von Kontinuität und Kausalität gesprengt. Entgegen der hermetischen Geschlossenheit eines Nachrichtenfilms implizieren die Fotos Eingriffsmöglichkeiten, werfen Fragen auf, ob sich die Dinge nicht auch ganz anders hätten entwickeln können. „In front“ lässt die Diskrepanz erahnen zwischen dem Ganzen und der Summe der Einzelteile.
Zum Abschluss der Ausstellung nähern sich die Münchner Weis und DeMattia ihrem Thema schließlich von entgegengesetzter Richtung: Im alten Kaisersaal des Hauses sind freihängende Leinwände zu einem Quadrat arrangiert. „Dance with me, Germany“ ist ein Film, der zeitversetzt auf die vier Leinwände projiziert wird. Von außen und von innerhalb des Quadrats kann man die Filmsequenzen betrachten; es reihen und überlappen sich die Bilder ebenso wie die Worte der Schauspieler, was zusammengenommen dann doch ein bisschen viel ist und letztlich kaum mehr als Konfusion hinterlässt.
Und dennoch: „On Film“ ist eine sehenswerte Ausstellung, die die Medien Film und Fotografie gegeneinander ausspielt und gerade dadurch ihre Spannung gewinnt. Mit dem Film antworten und dadurch Fragen zur Fotografie aufwerfen – keine schlechte Idee. SEBASTIAN FRENZEL
Bis 30. Januar, Fotomuseum, Jebensstr. 2, Di.–So. 10–18 Uhr, Do. 10–22 Uhr, Katalog (Revolver Verlag) 30 Euro. Am 29. von 22 bis 24 Uhr signieren M + M den Katalog