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Archiv-Artikel

Soldaten helfen – und feuern

Im indonesischen Aceh melden die Militärs Kämpfe mit der Guerilla. Kritiker fürchten, sie nutzen den humanitären Einsatz zur Verstärkung ihrer Offensive

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Zwei Wochen nach der verheerenden Flutwelle drohen politische und militärische Spannungen in zwei der am schlimmsten betroffenen Katastrophengebiete Rettungseinsätze zu beeinträchtigen: im indonesischen Aceh und auf Sri Lanka. Gestern gab es ein kurzes Feuergefecht nahe dem UN-Hilfszentrum in der Provinzhauptstadt Banda Aceh: Eine bislang unbekannte Anzahl mutmaßlicher Rebellen der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM), so behauptete gestern Polizei-Brigadier Bambang Hariyanto, habe auf Polizisten geschossen, die das Haus des für die Provinz zuständigen Vizepolizeichefs bewachten. Doch ein Offizier, der nur 100 Meter entfernt vor dem UN-Gebäude Wache stand, hielt dagegen: Der Vorfall habe nichts mit der GAM zu tun. Ein offenbar traumatisierter Angehöriger der indonesischen Sicherheitskräfte habe um sich geballert.

Im allgemeinen Chaos sind Indonesiens Offizielle mit Schuldzuweisungen rasch bei der Hand. Das geschieht offenbar vor allem, um Militäroffensiven zu legitimieren. Während die internationale Hilfe für das verwüstete Aceh an der Nordspitze Sumatras endlich angelaufen ist, gehen die militärischen Operationen gegen mutmaßliche Rebellen und vermeintliche GAM-Sympathisanten weiter. Immer wieder wurde in den vergangenen Tagen von Schusswechseln berichtet. Drei mutmaßliche Rebellen seien dabei umgekommen. Selbst Hilfskonvois hätte die GAM unter Feuer genommen, heißt es. Solche Aussagen stammen ausnahmslos aus den Quellen des Militärs. Die Unabhängigkeitskämpfer der GAM, die bei der Katastrophe selbst viele Angehörige verloren haben, weisen alle Vorwürfe zurück.

Dass dieser Konflikt anhält, erregt bei Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen zunehmend Unmut. Sie werfen der Zentralregierung in Jakarta vor, nichts dagegen zu unternehmen. Im Gegenteil: Nach Medienberichten ist die Militärpräsenz in der Provinz um rund 15.000 Soldaten verstärkt worden. Dort waren bereits vor der Naturkatastrophe etwa 40.000 im Einsatz, die allerdings auch viele Verluste erlitten. Sie sollten nun auch ausländische Hilfskräfte aus dem Westen beschützen, deren Präsenz manchen militant-islamistischen Gruppierungen in Aceh ein Dorn im Auge sei, heißt es von offizieller Seite. Kritiker befürchten, dass die Militärs unter dem Deckmantel humanitärer Einsätze ihre Offensiven verstärken.

Bestürzt zeigte sich unter anderem Naruddin Abubakar, Präsident des Referendum-Informationszentrums Aceh (Sira): Trotz der ungeheuren Zahl der Opfer halte die Regierung am Ausnahmezustand und an Militäroperationen fest. Seiner Organisation liegen Berichte vor, nach denen das Militär Überlebende auf dem Weg in Hilfszentren gestoppt und verhört habe. Sie sollen verdächtigt worden sein, mit der GAM zu konspirieren. Auch soll Menschen in vom Militär betriebenen Verteilungszentren Hilfe verweigert worden sein, weil sie keine richtigen Identitätskarten vorweisen konnten. In Einzelfällen sollen sie sogar schikaniert oder geschlagen worden sein, berichtet die in Bangkok ansässige Menschenrechtsvereinigung „Forum Asia“ unter Berufung auf Partner in Aceh. Zudem sei lokalen Nichtregierungsorganisationen verweigert worden, ebenfalls Hilfslieferungen auszuteilen.

Die Armee hat längst eingeräumt, dass sie sich nicht nur mit Hilfslieferungen befasst: „Wir sind nun mit zwei Aufgaben befasst, der humanitären Hilfe und mit Sicherheitsoperationen“, so Militärsprecher Oberstleutnant D. J. Nachrowi kürzlich in der Zeitung Jakarta Post. Die in Großbritannien ansässige indonesische Menschenrechtsorganisation „Tapol“ forderte die Regierung auf, „unverzüglich alle militärischen Operationen in Aceh zu stoppen und die Rolle des Militärs auf humanitäre Hilfe und Wiederaufbau zu beschränken“.

Mit der angeblich prekären Sicherheitslage begründete indes auf Sri Lanka die Regierung ihre Weigerung, UN-Generalsekretär Kofi Annan Zutritt zu dem von den tamilischen Rebellen kontrollierten Gebiet zu gewähren. Annan hatte sich auch dort ein Bild machen wollen. Die Führung des politischen Flügels der „Tamil Tigers“ drohte angesichts der Regierungsmaßnahme mit negativen Konsequenzen für die ohnehin kriselnden Friedensbemühungen.