: Ich habe Klarheit gesucht, aber keine gefunden
SPEX Das Musikmagazin „Spex“ feierte sich mit einem DJ- und Konzertabend im vollen Berghain. Künstlerische Darbietungen gerieten zur Nebensache
VON TIMO FELDHAUS
Was die Fledermaus für Gotham bedeutet, ist im Berghain das Spex-Logo. An der Decke der großen Halle, unter der sonst Körper zum harten Stampfen über die Tanzfläche getrieben werden, tanzte am Mittwoch nur das Signet des Musikmagazins.
Den Anfang des Konzertabends bestritt das Duo Phantom/Ghost. Sänger Dirk von Lowtzow trug eine Kapitänsmütze, als er den Right-Said-Fred-Coversong „You’re are my mate“ vortrug. Vielleicht sollte mit dieser Geste ein Bogen von Genets „Querelle“ zu den Bodybuilding-Glatzköpfen gespannt werden, die sich auch auf diesem Tanzboden tummeln.
Als problematisch erwies sich dann der Auftritt der jungen Engländerin Little Boots. Zu angestrengt wirkte ihr Versuch, die charmanten Adoleszenz-Balladen aus der YouTube-Rumpelkammer in bühnenkompatiblen Pop-Bombast zu verwandeln. Nur ihr am Rücken glamourös ausgeschnittenes Glitzerkleid war tadellos, wie überhaupt alle Popstars an diesem Abend tadellos gekleidet waren. Immerhin musste Little Boots in diesem hochkarätigen Line-Up mit ihren jungen Jahren ganz alleine die „Junge-Hipster-Fraktion“ stellen.
Vor größerer Kulisse spielten dann Phoenix das erste Konzert ihrer Europatour. Und es war klar, dass die Band aus Versailles, obschon sie nun ihr viertes Album „Wolfgang Amadeus Phoenix“ veröffentlicht, nach wie vor als Boyband betrachtet wird.
Dass ihr Publikum aus jungen Mädchen besteht, konnte also nicht überraschen. Interessanter war aber die Gruppe der Proll-Jungs, die den harmlosen Softpop-Sound von Phoenix ausgerechnet in schwitzige Rockgesten übersetzte.
Ein Musikwissenschaftler referierte unterdessen Spex-Konzepte vor der Tür: Nimm nie einen aufs Cover, der jünger ist als ein Mitglied der Redaktion. Es wären immer alte Recken, die todsicher nichts und deswegen eben alles zu beweisen hätten. Zuletzt etwa Portishead oder Grace Jones. Seit die Spex in Berlin sitzt, schafft es die Redaktion auch, Feuilletonchefs für groß angelegte Porträts längst bekannter Bands zu gewinnen. Sie wollen halt auch mitschreiben an einer Enzyklopädie der Popmusik als neue Klassik, in der ein 15-Seiten-Special zu Bob Dylan dem kurzlebigen Trend vorzuziehen ist.
In Zeiten einer totalen Krise der Printmedien macht die Redaktion jedenfalls die konservativste, zeitgemäßeste, erfolgreichste und womöglich sogar beste Spex seit zehn Jahren: ein Altherren-Magazin. Und mit ziemlicher Sicherheit das Musikmagazin mit der größten Leserinnenquote. So liest sich die Spex inzwischen wie die gedruckte Konsequenz der zuletzt so oft gehörten These, dass sich nur noch Ü-30-Menschen für Pop im Sinne eines Popdiskurses interessieren. Was machen aber diese ganzen jungen, gesichtslosen Menschenmassen im Tanztempel? Lesen sie etwa das Magazin für Popkultur? Sehr viele von ihnen redeten Spanisch, aber das ist ja auch eine Weltsprache. „Lasst die Luft vor Klarheit erzittern!“, war die Vorab-Message von Spex-Chefredakteur Max Dax. Ich habe Klarheit gesucht, aber keine gefunden.
Grandios aber war das strikte Jungle-Set von DJ Will Bankhead. Ich singe also mit: „I’m a junglist“. Mein Freund meint, er hätte gelesen, dass das eine rassistische Äußerung sei oder so was. Ich denke aber definitiv, was ich zuletzt mit 20 gedacht habe: „I’m a junglist“. Wir Gleichsozialisierten freuen uns über so viel Jugendbewegung und zwinkern uns zu. Gleich gehen wir in einen Raum, in dem normalerweise auch gefickt wird, aber heute spielt hier nur Popkultur.