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Archiv-Artikel

Die neuen Götter zürnen dem Tempel

RAW-TEMPEL Die Gespräche zwischen Nutzern und Eigentümer des Kulturprojekts liegen auf Eis. Nur der Bezirksbürgermeister ist noch „vorsichtig optimistisch“. Heute will er mit den Investoren sprechen

„Wir haben den RAW-Leuten mitgeteilt, dass wir einen Räumungsbeschluss nicht vollstrecken würden“

R.E.D.-VERTRETER MORITZ MÜLLER

Es war einmal eine Firma, die hieß R.E.D. Development GmbH und wollte die Welt schöner machen. Nicht gleich die ganze Welt, aber sieben Hektar sollten es schon sein. Zu diesem Zweck packte die R.E.D. einen Koffer mit 4 Millionen Euro und erwarb ein Gelände namens Revaler Viereck, idyllisch gelegen in Friedrichshain zwischen Modersohn-, Revaler und Warschauer Straße.

Nun war das Gebiet aber schon mit andersartigen Fabelwesen besetzt, die eine Einrichtung namens RAW-Tempel gegründet – das RAW steht für Reichsbahnausbesserungswerk, das dort früher bestand – und dort bereits viel Gutes vollbracht hatten. Leider ist der Revaler Märchenwald zu klein, als dass alle dort zusammen glücklich und bis zum Ende ihrer Tage leben könnten.

Wie es sich für vernünftige Menschen gehörte, setzte man sich zusammen und redete, bisweilen stritt man auch. Im März 2009 schien es, als wenn sich der neue Gutsbesitzer und seine Pächter vom RAW-Tempel auf einen Kompromiss einigen könnten. Doch jetzt ist alles im Eimer.

Bei einer Sitzung des Friedrichshain-Kreuzberger Stadtplanungsausschusses am 22. April hatte R.E.D.-Vertreter Moritz Müller zur allgemeinen Verwunderung die Einstellung der Verhandlungen mit dem RAW-Tempel verkündet. Als Grund nannte er, dass der Verein „auf dem Gelände macht, was er will“.

Seine Aussagen präzisierte Müller mittels eines 16-seitigen Gutachtens, das eklatante Sicherheitsmängel auf dem vom RAW-Tempel unter anderem mit Veranstaltungsräumen, einem Kletterturm, einer Skathalle und einem Kinderzirkus genutzten Areal nachweisen sollte. Anfang Mai prüfte das Bauamt die im R.E.D.-Gutachten erhobenen Vorwürfe, ein Abschlussbericht steht noch aus. Ende April wurde dem Verein seitens der R.E.D. gekündigt. Seitdem herrscht Funkstille.

Des Weiteren hat der Grundstückseigentümer eine Räumungsklage gegen den RAW-Tempel eingereicht. Jedoch bestreitet die R.E.D., dass man einen Räumungsbeschluss auch durchsetzen wolle. „Wir haben den RAW-Leuten mitgeteilt, dass wir nicht vollstrecken würden, und wir halten unser Wort“, so Moritz Müller. Man wolle nur für eine gesicherte Rechtslage für neuerliche Verhandlungen schaffen. Dass es überhaupt noch mal zu ernsthaften Gesprächen komme, schließt Müller nämlich nicht aus. Jedoch wolle man zunächst die Entwicklung des Gerichtsverfahren abwarten. Ein Urteilsspruch dürfte frühestens im Herbst fallen.

Aber selbst wenn es noch einmal zu Verhandlungen kommen sollte, ist ein Kompromiss und damit ein Fortbestehen des RAW-Tempels nicht das Wahrscheinlichste aller Szenarien. Das Klima ist auf beiden Seiten vergifteter als Schneewittchens Apfel. „Das große Vertrauensverhältnis zu Herrn Müller war ohnehin nie vorhanden“, sagt Udo Glaw vom Tempel-Vorstand. Zu oft habe sich die R.E.D. in der Vergangenheit unehrlich verhalten. Das Märchen vom gutwilligen Investor habe man schon immer für ein ebensolches gehalten. Bei der R.E.D. ist der Tenor ähnlich. „Ich empfehle dem RAW-Tempel dringend eine personelle Umstrukturierung auf Vorstandsebene“, so Müller.

Für den weiteren Verlauf der Verhandlungen dürfte klar sein, dass die R.E.D. als Grundstückseigentümer juristisch am längeren Hebel sitzt. Doch auch der Investor wird nicht nach Belieben Schalten und (Ver-)Walten können, die Bezirkspolitik schaut ihm genau auf die Finger. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) saß während der gesamten Verhandlungen als Mediator mit am Tisch und ließ des Öfteren durchblicken, dass die grüne Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung alles daran setzen werde, den RAW-Tempel und seine soziokulturellen Projekte zu erhalten.

Schulz ist derweil auch wieder „vorsichtig optimistisch“, dass noch eine Einigung gefunden werden könnte. Am heutigen Freitag ist er mit der R.E.D. verabredet, um eine erneute Gesprächsaufnahme zu prüfen. Damit das Märchen vielleicht doch noch so glücklich endet, wie es sich gehört. PHILIPP STACHELSKY