: „Unser Sound muss bis in die Eingeweide spürbar sein“
ZEITLUPE SunnO))) sind die langsamste und lauteste Metalband der Welt. Ihr neues Album „Monoliths and Dimensions“ braucht ganze 53 Minuten für vier Songs
■ Die beiden Gitarristen Stephen O’Malley und Greg Anderson gründeten SunnO))) 1998 in Seattle, nachdem sie zuvor in verschiedenen Metalbands gespielt hatten. Benannt nach dem Hersteller der Verstärkermarke Sunn, arbeitet das Duo seither mit wechselnden Sängern und Gastmusikern daran, Metal-Strukturen kompromisslos zu reduzieren. Die dabei entstehenden epischen, stets improvisierten und nahezu bis zum Stillstand verlangsamten Klanglandschaften aus übersteuerten Verzerrergeräuschen und Rückkopplungen sind live eine Grenzerfahrung für Körper und Geist. Die Band selbst sieht sich in einer Ahnengalerie von Black Sabbath über die Melvins bis zur Doom-Metal-Legende Earth. SunnO))) gelten nicht nur als die langsamste Rockband der Welt, sondern auch als ihre lauteste. Auf ihrem siebten Album „Monoliths & Dimensions“ (Southern Lord) entdeckt das Duo nun eine ungeahnte Leichtigkeit, experimentiert mit Jazzmusikern, Chor und dem ungarischen Deathmetal-Sänger Attila Csihar. TO
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Wie wird man zur lautesten Band der Welt?
Greg Anderson: Wir haben einfach alle Verstärkerboxen eingeschaltet. Die anderen bauen zwar auch Wände aus Lautsprechern auf, aber aus rein ästhetischen Erwägungen. Ihr Gitarrensound kommt nur von dem Kofferverstärker hinter dem Gitarristen. Unser Sound muss bis in die Eingeweide spürbar sein. Dafür brauchen wir alle Lautsprecher, die wir kriegen können.
Musik als physische Erfahrung?
Genau. Deshalb ist das Konzert die beste Art, um unsere Musik zu erfahren.
Manche Fans gehen sehr weit mit dieser Erfahrung.
(lacht) Ja, die umarmen die Boxen oder stecken sogar ihre Köpfe rein. Sie sehen ein Konzert von uns als körperliche Herausforderung.
Wären die mit Extremsport nicht besser bedient?
Vielleicht. Aber wer bin ich, den Leuten vorzuschreiben, wie sie mit unserer Musik umzugehen haben? Ich bin dankbar, dass überhaupt jemand reagiert.
Führt die Suche nach dem nächsten Kick nicht automatisch zu noch extremerer Musik?
Falls dabei jemand fündig geworden ist, hoffe ich, dass wenigstens einer zurückkommt und mir davon erzählt. Denn das möchte ich unbedingt ausprobieren. (lacht schallend)
Kann man noch langsamer spielen als SunnO)))?
Auf jeden Fall. Am Anfang war der Blues, dann erfanden Black Sabbath ihn neu, später kamen Bands wie St. Vitus und Pentagram und interpretierten Black Sabbath neu. Darauf haben wir reagiert und irgendwann wird jemand kommen, der aus unseren Vorarbeiten etwas Neues macht. Es ist eine lineare Entwicklung. Aber wir haben diese Linie nicht bewusst fortgesetzt, sie ist einfach passiert. Das bewusst zu versuchen, würde es nur ruinieren.
Irgendwo auf dem Weg dahin müssen Sie festgestellt haben, dass SunnO))) eine atypische Metal-Band sind.
Das war schon von Anfang an klar, weil wir als Duo ohne Schlagzeuger spielen. Nach den ersten Auftritten war ich überrascht, dass das Publikum so begeistert war. Denn wir wissen doch alle, dass unsere Musik eine große Herausforderung ist: Es gibt kaum Rhythmus, keine traditionellen Songstrukturen, kaum etwas, woran sich die Hörer klammern können. Nicht alle Menschen begreifen das, aber überraschend viele wissen es trotzdem zu schätzen.
Liegt es auch an dem Humor, den Ihre Musik zweifellos hat? Im Metal gab es schon immer Humor und die Fähigkeit zur Selbstironie. Man denke nur an die Fantasy-Einflüsse. Oder „Spinal Tap“. Aber natürlich gibt es Menschen, die – im Gegensatz zu mir – eine Band wie Iron Maiden sehr ernst nehmen und ganz und gar nicht komisch finden. Aber auch SunnO))) sind ja nicht schreiend komisch. Wir bedienen den Eskapismus des Metal. Vor allem live, wenn wir mit Mönchskutten in dichtem Nebel auftreten. Es geht dabei auch darum, ein anderer zu sein, den Alltag hinter sich zu lassen. Da sind wir doch wieder ziemlich traditionell Metal. Es ist zwar definitiv Humor in unserer Musik zu finden, aber wir wollen auch nicht als Witz-Band missverstanden werden. Ich versuche wirklich, mich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, aber meine Kunst nehme ich sehr ernst. Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem wir da wandeln.
Ist SunnO))) eher Kunstprojekt als Band?
Ich sehe uns nicht als Kunstprojekt, aber wir sind auch keine professionelle Band, weil wir nicht wie eine klassische Band funktionieren: Wir üben nicht und spielen dann die Songs, die wir im Übungsraum erarbeitet haben, wie das Bands gemeinhin tun. Und sicher: Stephen kommt eher aus einem Kunstzusammenhang, er ist ein großartiger Grafiker. Offensichtlich schaffen wir auch den Crossover in die Kunst-Szene, wir gestalten immer wieder Klanginstallationen in Galerien. Aber für mich bedeutet SunnO))) vor allem eins: Musik machen mit meinem guten Freund Stephen.
Sie gelten nicht nur als lauteste, sondern auch als langsamste Band der Welt. Ihr neues Album „Monoliths & Dimensions“ scheint allerdings vergleichsweise schnell geworden zu sein. Na ja, Geschwindigkeit war jetzt nicht gerade unser dringlichstes Anliegen. Ich habe eher den Eindruck, dass die Atmosphäre, die Stimmung der neuen Songs etwas heller ist. Zumindest endet das Album mit einer optimistischen Note.
Die von einer Posaune stammt.
Genau. Eine Posaune haben wir bisher noch nie benutzt. Auf dem neuen Album haben wir erstmals mit großem Orchester, mit Streichern und Bläsern, zusammengearbeitet. Deshalb konnten wir ein großes Gefühlsspektrum abbilden.
War das der Plan, als Sie ins Studio gingen?
Um ehrlich zu sein, haben wir niemals einen konkreten Plan, wenn wir ins Studio gehen. Wir laden uns Gäste ein, befreundete Musiker, und beginnen mit ihnen zu improvisieren. Wir versuchen so offen wie möglich und ohne Restriktionen vorzugehen, um Sounds, Töne und Instrumente zu erforschen und verschiedene Richtungen auszuprobieren. Idealerweise ist es so, dass es bei SunnO))) nur eine Regel gibt, nämlich dass es keine Regeln gibt. Der Löwenanteil des Materials ist nun mal improvisiert. Unsere Musik lebt ja vor allem davon, dass wir Klang manipulieren, aber man darf sich das nicht als wirklich bewussten Vorgang vorstellen. Wenn wir arbeiten, ist das eher ein Bewusstseinsstrom. Wir analysieren nicht, was passiert, wir lassen es einfach geschehen.
Angeblich sollen Sie nie nüchtern sein, wenn Sie Musik machen.
Das ist zwar keine unbedingte Voraussetzung, um unsere Musik zu spielen, aber es ist sicherlich eine Erleichterung. (lacht schallend) Tatsächlich haben wir auch schon nüchtern Shows gespielt, mit denen ich sehr zufrieden war.
Reden wir hier nur von Alkohol?
Okay, hier ist mein hochoffizielles Statement zu diesem Thema: Wir versuchen uns fern zu halten von den Drogen, denn die können uns allzu leicht von den Kollegen auf der Bühne wegsteuern. Man verliert so das gemeinsame Ziel aus den Augen. Wir haben Fehler gemacht und wir sind in Fettnäpfchen getreten: Es kam schon vor, dass einer zu breit war, um vernünftig Musik zu machen. Aber das Publikum hat es meistens nicht bemerkt.
Könnten Sie eine Platte auf der Bühne reproduzieren?
Nein, nicht mal annähernd. Und wir würden das auch gar nicht tun wollen.
Was reizt Sie dann an der Arbeit im Studio?
Sie ist vor allem eine Herausforderung, die Erfahrung auf der Bühne nachzustellen und auf Bänder zu transferieren. Allerdings ist das eigentlich immer eine von vornherein verlorene Schlacht. Das liegt schon daran, dass die meisten Menschen heutzutage Musik so hören, dass sie eine SunnO)))-Platte gar nicht angemessen erfahren können: Mit kleinen iPod-Kopfhörern oder durch die Aktiv-Boxen eines Computers. Die Tiefen, das ganze Frequenzspektrum, das ist dann alles einfach weg. Eigentlich müsste man zu jeder unserer Alben ein angemessenes Abspielgerät beilegen. Das wäre großartig.
Ist die digitale Technik auch der Tod für Musik, wie sie SunnO))) machen?
Vielleicht nicht gerade der Tod, aber doch ein großes Hemmnis. Es gibt sicher Leute, die Musik wie unsere auf einem iPod hören, aber halt was ganz anderes dabei rausziehen. Wenn die Leute allerdings dann zu einem unserer Konzerte kommen, dann werden sie notgedrungen begreifen, wie wir das gemeint haben. Und sich dann vielleicht sogar einen anständige Plattenspieler besorgen, um die Musik auch richtig fühlen zu können. Denn unsere Musik muss man fühlen.
■ SunnO))) live am 24. Mai in Berlin, Prater der Volksbühne