: Wiedertäufer machen blau
In Ostwestfalen verweigern sich fundamentalistische Christen zunehmend der Schulpflicht. Die Staatsschule verstoße gegen Glaubensfreiheit. Der NRW-Integrationsbeauftragte soll nun vermitteln
AUS PADERBORN HUBERTUS GÄRTNER
Immer mehr christliche Fundamentalisten wollen ihre Kinder nicht in öffentlichen Schulen unterrichten lassen. Im Kreis Paderborn weigern sich sieben Elternpaare einer fundamentalistisch orientierten baptistischen Glaubensgemeinschaft seit mehreren Monaten, ihre 15 Kinder in Grundschulen zu schicken. Die Verweigerer führen religiöse Gründe ins Feld: Der Unterricht verstoße gegen das Kindeswohl und die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Versuche der Behörden, die Eltern umzustimmen, schlugen fehl. Der Kreis Paderborn erließ Bußgelder in Höhe von 250 Euro – die Betroffenen legten Widerspruch ein.
„Mit diesen Eltern ist nicht mehr zu diskutieren“, sagt die Leiterin einer Paderborner Grundschule. Seit Anfang September sind in ihren Klassen sechs Plätze nicht besetzt. Die Kinder würden „in perfider Weise instrumentalisiert“, sagt die Pädagogin, möchte namentlich aber nicht genannt werden.
Die schulische Abwesenheit in Paderborn ist nur Ausschnitt eines Problems: So liegt eine Baptistengemeinde aus Schloß Holte-Stukenbrock seit Jahren im Dauerclinch mit dem Kreis Gütersloh. „Nur Schwierigkeiten gibt es mit denen“, sagt ein Sprecher – mal würden die Eltern ihren Kindern die Teilnahme an Klassenfahrten untersagen, dann seien Teile des Unterrichts plötzlich „des Teufels“. Bereits vor fünf Jahren hat der Kreis Gütersloh einen Rechtsstreit ausgefochten, weil ein baptistisches Elternpaar die eigenen Kindern nicht zur Schule schicken wollte. Zwei Bußgeldbescheide seien „rechtskräftig geworden“, sagt ein Sprecher des Kreises. Die Familie sei dann nach Sachsen gezogen, wo sich ihre Spur verlor.
Auch im Kreis Minden Lübbecke gingen vor drei Jahren die Wogen hoch, als Mennoniten ihren Nachwuchs nicht mit auf Klassenfahrten schicken wollten, aus Furcht vor einem Sittenverfall. Nach mühsamen Verhandlungen fanden sich Kompromisse zwischen Eltern und Schule.
Danach sieht es im Kreis Paderborn überhaupt nicht aus – die Schulverweigerung werde neuerdings „zentral gesteuert“, vermutet eine Lehrerin: Die Eltern seien doch „intellektuell nicht in der Lage“ derart ausgefuchst zu argumentieren. Einzelne Pädagogen berichten von schweren Konflikten im Unterricht, weil die fundamentalistisch eingestellten Eltern ihren Kindern die Teilnahme an Tanz- und Entspannungsübungen oder auch an Theater- und Puppenspielen verboten hätten: „Wenn die Kinder den Räuber Hotzenplotz nicht sehen durften, dann saßen sie stundenlang nur noch da und weinten“, berichtet eine Lehrerin. Auch die baptistischen Eltern seien mit den Nerven völlig fertig, weil sie sich von ihrer Kirche „stark unter Druck gesetzt“ fühlten. Um den „Rechtsstaat auszuhebeln“, spekuliere die Evangeliums-Christen-Baptistengemeinde „ganz bewusst“ darauf, dass die Behörden die Kinder nicht mit Gewalt aus den Familien holen würden, heißt es in der Lehrerschaft.
Die so genannte Zwangszuführung oder der Entzug des Sorgerechtes sind für die Behörden in der Tat nur das allerletzte Mittel: „Zwangsmaßnahmen kommen erst dann in Frage, wenn alle Gespräche gescheitert sind“, sagt eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Schulministeriums. Deshalb werde sich der Integrationsbeauftragte der Landesregierung, Klaus Lefringhausen, der Sache annehmen. Er soll vermitteln und die Eltern von ihrer kompromisslosen Haltung abbringen.
„Aus Sicht der Kinder wäre eine Zwangszuführung fürchterlich“, sagt eine Schulleiterin, man sollte den Totalverweigerern, die zumeist aus Ex-Sowjetstaaten zugewandert seien, „das Kindergeld und die Wiedereingliederungshilfe“ streichen. Die baptistischen Eltern verweisen darauf, dass sie beim Unterricht von der Siegener Philadelphia-Schule und der Deutschen Fernschule in Wetzlar betreut werden. Als Ersatzschulen sei die jedoch „nicht anerkannt“, sagte Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung in Arnsberg.