: Studieren in schöner Kulisse
In keiner Stadt in Deutschland haben Hochschulen so viele Gebäude in Beschlag genommen wie in Berlin: insgesamt 350. Ein Buch stellt jetzt die Entwicklung des Hochschulbaus seit dem 18. Jahrhundert dar und zeigt, wie die Unis das Stadtbild prägen
VON JASMIN HERBELL
Knappe Kassen, Massenveranstaltungen und sinkendes Niveau – derzeit gibt es kaum Lob für Berlins Hochschulen. Dennoch hält die Hauptstadt in diesem Bereich einen Spitzenrang, gibt es doch nirgendwo in der Republik so viele Hochschulgebäude wie an der Spree. 350 Einzelbauten und Institute, vom späten 18. Jahrhundert bis heute von namhaften Architekten errichtet, prägen das Stadtbild. Die Wissenschaften feierten hier große internationale Erfolge, Professoren und Studenten sind Teil spezifischer Berliner Geschichte.
Der neue Band aus der Reihe „Berlin und seine Bauten“ zeichnet diese außergewöhnliche Bauentwicklung und den Einfluss der Architekturen auf das Stadtbild nach: von den ersten Wissenschaftsbauten vor der Reichsgründung 1871 bis zum modernen „deutschen Silicon Valley“ in Adlershof. Es ist eine wunderbar bebilderte Dokumentation und ein „Berlin-Buch“ mit alten und neuen Fotos in Schwarzweiß, dessen Texte aber – nomen est omen – von den Autoren manchmal sehr akademisch formuliert wurden. Natürlich rahmen die drei „Klassiker“ – Humboldt-, Freie (FU) und Technische Universität (TU) – die Baugeschichte der Berliner Universitäten ein. Ihre Entwicklungen, Bedeutungen und Wirkungen für Stadt, Forschung und Lehre spiegelt der Band in einem ausführlichen Teil ebenso wider wie die Gründung zahlreicher Fachschulen oder Akademien.
Mehr noch ist das Buch Abbild der Wissenschaftsgeschichte Berlins, die entgegen gängigen kulturpessimistischen Einschätzungen von den Autoren nicht als analoger Niedergang von Architektur und Bildung beschrieben wird. Stattdessen illustrieren sie die gesellschaftliche Wertschätzung der Baukunst für die Wissenschaft.
Den Anfang institutionalisierter Wissenschaft in Berlin markiert 1696 die Gründung der „Academie der Mahl-, Bild- und Baukunst“ durch den kunstsinnigen Kurfürsten Friedrich von Brandenburg. Dozenten und Studenten mussten sich im Marstall Unter den Linden treffen, da die Akademie, wie auch anderenorts in Europa üblich, über kein eigenes Gebäude verfügte. Erst 1790 entstand mit dem Anatomischen Theater von Gottfried Langhans der erste originär wissenschaftliche Bau, dessen Form sich seiner Nutzung unterordnete.
Für die 1809 gegründete Friedrich-Wilhelm-Universität, die heutige Humboldt-Universität, gab es zwar auch keinen eigenen Neubau. Friedrich Wilhelm III. überließ ihr aber großzügig das Palais des verstorbenen Prinzen Heinrich, des Bruders von Friedrich II. Die zahlreichen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen verwandelten das „Hohenzollernschloss“ im Lauf der Jahre in das so genannte „Jesuitenkollegium“ in der Stadtmitte. Gegenüber dem Stadtschloss symbolisierte die Universität das Zeitalter der Moderne, der Aufklärung und des Bürgertums. Neben den alten Wissenschaften wurden neue Disziplinen gelehrt – als Folge der Entdeckungen, Forschungen, beginnenden Industrialisierung und des neuen bürgerlichen Kunst- und Kulturverständnisses.
Bedingt durch ihre Lage im Zentrum gab es schon bald nach der Gründung für die aufstrebende Friedrich-Wilhelm-Universität in unmittelbarer Nähe des Hauptgebäudes kaum Raum für notwendige Erweiterungsbauten, so dass neben dem repräsentativen Hauptbau zahlreiche Lehrgebäude entstanden. Zu Ende des 19. Jahrhunderts verfügte die Universität über keinen geschlossenen Campus mehr – im Gegensatz zu den aufstrebenden Naturwissenschaften, die sich 1879 zur „Königlichen Technischen Hochschule“ vereinigt hatten.
Richard Lucae, Direktor der Bauakademie, hatte die Bauplanung für die neue technisch-naturwissenschaftliche Hochschule am Tiergarten übernommen. Die zentralen Einrichtungen wurden in einer historisierenden Dreiflügelanlage untergebracht. Dennoch schlich sich auch hier eine erste Dezentralisierung ein. Das chemische Laboratorium etwa wurde als eigenständiger Bau geplant, einerseits wegen der Leitrolle der Chemie für den technischen Fortschritt, andererseits wegen der von ihm ausgehenden Gefährdung.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine scharfe Zäsur in der Geschichte der Berliner Wissenschaftsbauten. Die Gebäude der Technischen Hochschule wurden fast alle zerstört, von der Berliner Universität Unter den Linden standen nur noch die Außenwände des Mittelbaus. Während an der Universität und der Hochschule der Bildenden Künste der Lehrbetrieb bald wieder aufgenommen werden konnte, war dies bei der Technischen Hochschule wegen ihrer Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus längere Zeit ungewiss.
Da die Friedrich-Wilhelm-Universität, die im Herbst 1945 in Humboldt-Universität umbenannt wurde, unter sowjetischer Aufsicht stand, wurde der Bau einer neuen Hochschule im Westen der Stadt beschlossen. Der „Dahlemer Kreis“, eine Gruppe von Wissenschaftlern der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institute, unterstützte das Vorhaben, so dass Ende 1948 die offizielle Gründungsfeier der „Freien Universität“ – ein Kind des Kalten Krieges – stattfand. Da man zunächst über keine eigenen Gebäude verfügte, wurden erneut bereits bestehende Häuser aus dem „Dahlemer Kreis“ für Forschung und Lehre genutzt.
Rund 200 Jahre Baugeschichte und Wissenschaftsentwicklung liegen zwischen dem ersten Rundbau, jenem frühklassizistischen Meisterwerk des anatomischen Theaters von Langhans, und dem Elektronenspeicherring „Bessy 2“, dem Zugpferd des Adlershofer Areals. 120 Meter Durchmesser misst der prägnante silberne Ringbau des Stuttgarter Architekturbüros Jürgen Brenner und Partner. Die Bauweise steht völlig im Dienst der komplexen Technik. Beide Beispiele verdeutlichen nicht nur den architektonischen Wandel, sondern vermitteln auch den immensen technischen Fortschritt von Wissenschaft und Forschung. Ein Fortschritt, der heute allzu oft ohne genügend Mittel und wegweisende Architekturen auskommen muss. Der Hochschulstadt Berlin mit ihren rund 150.000 Studenten steht eine solche Perspektive nicht gut an.
„Berlin und seine Bauten. Hochschulen.“ 562 Abbildungen. Hrsg. AIV Berlin. Erschienen im Michael Imhof Verlag. 49,90 Euro