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Archiv-Artikel

Gehemmt im sicheren Kokon

BRD Eine Geschichte der Bundesrepublik unter dem Leitmotiv Sicherheit. Eckart Conze droht das Politische im Pragmatismus zu verlieren

Das goldene Zeitalter des Wirtschaftswachstums neigte sich in den 1970er-Jahren seinem Ende zu Zur Vereinigung durfte sich die Bonner Republik schließlich als Siegerin der Geschichte fühlen

VON JENS HACKE

Eigentlich gibt es keinen Grund, über die vermeintliche Geschichtslosigkeit der Bundesrepublik zu klagen. Schon der Blick auf ihre Historiker belehrt uns eines Besseren, liegt mittlerweile doch eine ganze Reihe voluminöser Gesamtdarstellungen vor. Bei kleineren Akzentverschiebungen im Einzelnen herrscht unter den Herren Görtemaker, Winkler, Kielmansegg, Wolfrum und Wehler immerhin Einigkeit darüber, dass es sich um eine „geglückte Demokratie“ handelt, die „nach der Katastrophe“ erfolgreich den „langen Weg nach Westen“ angetreten hat.

Sicherlich, die 1950er-Jahre waren noch ein bisschen spießig, doch freundete das Wirtschaftswunder die posttotalitäre Gesellschaft rasch mit den Vorzügen eines liberalen Staates an. Manche sprechen sogar von einer zweiten Gründung der Republik in den Jahren 1968/69, als die Neue Linke protestierte und die alte SPD mit der Demokratie so „richtig anfangen“ wollte.

Adenauers Westbindung, Brandts Ostpolitik, Schmidts Krisenmanagement und Kohls Wiedervereinigung, irgendwie fügen sich die unterschiedlichen Stationen auf das Schönste zusammen, um von einer glücklichen Ankunft im Heute erzählen zu können. Allein die Tatsache, dass die Fragen der bundesrepublikanischen Geschichte kaum Kontroversen auslösen, scheint für die Solidität dieses Staates zu sprechen. Keine guten Voraussetzungen für einen Autor, seinen Lesern angesichts des 60. Republikgeburtstages ein Buch schmackhaft zu machen, das in Umfang und Ausführlichkeit alle Vorgänger übertrifft. Beeindruckende tausend Seiten hat der Marburger Historiker Eckart Conze hingelegt, von den Anfängen bis in die finanzkrisengeschüttelte Gegenwart.

Bitte nur das Wesentliche

Conze findet sein Leitmotiv im Streben nach Sicherheit. Die universelle Sehnsucht nach Sicherheit lässt sich auf viele Themenfelder in Politik und Gesellschaft anwenden: auf die außenpolitischen Konstellationen seit dem Kalten Krieg, auf die Verheißungen des Wohlfahrtsstaates oder auf die Probleme der inneren Sicherheit. Auch die Ängste vor Umweltrisiken und nuklearer Bedrohung lassen sich als Sicherheitsbedürfnisse interpretieren. Sicherheit, Stabilisierung, Normalität – darin dürfen mit Fug und Recht wichtige Imperative politischen Handelns erkannt werden. Selbst wenn dieser Befund generell für jedes Gemeinwesen gelten kann, spielte die Reduktion der Politik auf das Wesentliche gerade in Deutschland eine besondere Rolle, hatte man hierzulande doch einem ideologisierten Irrationalismus gehuldigt.

Unaufdringlich und abgewogen manövriert Conze durch das Auf und Ab der Nachkriegsentwicklungen, mit der Distanz desjenigen, der verstehen und nicht in erster Linie Zensuren verteilen will. Entstanden ist ein zuverlässiges Kompendium für die Geschichte der letzten 60 Jahre, allerdings ohne Berücksichtigung der DDR. Conze würdigt die deutsche Bewährungsgeschichte der Demokratie, problematisiert jedoch ausdrücklich das Altern der Institutionen und ihre Krisenanfälligkeiten. Es ist eben nicht damit getan, dass allein die Weisheit des Grundgesetzes nachträglich zur Verfassungswirklichkeit avancierte. Vielmehr fordert der historische Wandel steten Anpassungsbedarf und bisweilen auch den Mut zu Reformen und Kurskorrekturen. Versteht man Conze richtig, so hat es in der bundesrepublikanischen Geschichte daran gemangelt und das bequeme Vollkaskodenken nicht immer segensreiche Folgen gezeitigt. Eine sozialfürsorgliche Ruhigstellung der Bürger habe zur Erlahmung zivilgesellschaftlicher Kräfte geführt, spätestens als sich das goldene Zeitalter des Wirtschaftswachstums in den 1970er-Jahren seinem Ende zuneigte.

Das gute Leben

Zum Zeitpunkt der Vereinigung durfte sich die Bonner Republik schließlich als Siegerin der Geschichte fühlen: Sie fand ihre eigentlich schon reparaturbedürftige Wirtschafts- und Sozialordnung noch einmal bestätigt und übertrug ein überaltertes Modell auf die neuen Bundesländer. Anfang der 1990er-Jahre präsentierte sich der Staat als potenter Sicherheitsgarant, dessen Social Engineering gar kein Bürgerengagement mehr benötigte – ein folgenschwerer Irrweg, der zudem zeigt, dass die „Suche nach Sicherheit“ kein Endzweck der Politik sein kann. Zum Glück wird die politische Geschichte eines Landes noch von anderen Zielen und Ideen beeinflusst, die in Conzes Buch nebenbei auch noch auftauchen, nämlich von alternativen Bewegungen, die gegen eine technokratische Planung von oben aufbegehrten und sich nicht im Modell Deutschland wiederfanden.

Insofern verdeckt die von Conze konstruierte thematische Klammer auch Kosten. Es wird uns eine Bundesrepublik präsentiert, die sich ihren Weg mühevoll durch das Reich der sozialen Notwendigkeiten bahnt. Im Sinne einer neuen Politikgeschichte favorisiert Conze eine nüchterne Sachlichkeit bei der Betrachtung des Politischen. Der Autor verzichtet auf erzählerische Ausschmückung. Anekdotisches, atmosphärische Milieuschilderungen oder das Kulturelle bleiben weitestgehend ausgespart. Conze erzählt eine Geschichte des Über-Wasser-Haltens. Für ihn ist Politik problemadäquates Handeln, um gesellschaftlichen Bedürfnissen und ökonomischen Herausforderungen angemessen zu begegnen. Darin kann freilich eine trügerische Beschränkung des Politischen liegen. Wird Sicherheit zum alleinigen Zweck der Politik, droht Lähmung. Ohne gleich utopiebefeuert vom Reich der Freiheit zu schwärmen, haben sich die Menschen bisher jedenfalls nicht davon abbringen lassen, für bestimmte Ideen vom guten Leben politisch zu streiten.

■ Eckart Conze: „Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart“. Siedler Verlag, München 2009, 1072 Seiten, 39,95 Euro