: „Einzige Lösung: Eingreifen!“
INTERVIEW MONIKA JUNG-MOUNIB
taz: General Dallaire, zum 10-jährigen Gedenken an den Völkermord in Ruanda schwor die internationale Gemeinschaft letztes Jahr, dass so etwas „nie wieder“ passieren werde. Wiederholt sich die Geschichte nun in Darfur?
Romeo Dallaire: Die Geschichte wiederholt sich mit solch einer Kraft, dass es wie ein Schlag ins Gesicht ist. Das Ausmaß des Mordens kommt dem in Ruanda immer näher. Die Regierung in Khartum ist genau so hinterhältig wie es 1994 die ruandische Regierung war. Sie hält die internationale Gemeinschaft zum Narren. Wir gehen den gleichen unwirksamen Weg der Diplomatie wie damals.
Offensichtlich kann man hier nicht mehr von Unwissenheit sprechen …
Sicher nicht, denn die Amerikaner haben das, was in Darfur geschieht, als Völkermord bezeichnet. In meinen Augen handelt es sich dabei um einen politischen Trick, weil die Republikaner wissen, wie viel Ärger sich Präsident Clinton 1994 einhandelte, als er das Geschehen in Ruanda nicht als Völkermord bezeichnete. Dieses Mal haben sie es früh als Völkermord bezeichnet. Die Medien haben das aufgenommen, doch nun heißt es, die Amerikaner könnten wegen des Irak nichts unternehmen.
Also läuft den Darfuris die Zeit davon?
Ja, weil sie sterben, leiden, vergewaltigt und gefoltert werden. Die westlichen Mittelmächte wie Japan und Deutschland haben sich durch den Friedensvertrag für Südsudan und durch die „islamische Bedrohung“ in eine günstige Lage gebracht: Sie sagen, sie wollten jetzt potenzielle Spannungen mit der muslimischen Welt vermeiden. Diese Interessen berücksichtigen weder die Menschenrechte noch menschliches Leben oder das Leiden der Darfuris. Die Regierung in Khartum wird erreichen, was sie will: sie alle loswerden.
Was sollte geschehen?
Schon sehr früh habe ich gesagt, dass es ohne Intervention nicht geht. Ich habe auch den Vertreter des UN-Generalsekretärs, der dort war und im vergangenen April gefeuert wurde, weil er das Gleiche gesagt hat, unterstützt. Ich glaube nach wie vor, dass eine Intervention ohne amerikanische, französische und britische Soldaten die einzige Lösung ist. Eine Intervention, die aber nicht alleine von der Afrikanischen Union (AU) getragen werden kann, weil ihr das Rückgrat und die Erfahrung und die logistische Kapazität fehlen. Die Mittelmächte der entwickelten Welt sollten die AU mit Ausrüstung und mit Streitkräften unterstützen.
Wie sollte das Mandat dieser Friedenstruppe aussehen?
Ein Mandat nach Kapitel 7 der UN-Charta, bei dem Gewalt eingesetzt werden darf, um Zivilisten zu schützen und eine Atmosphäre der Sicherheit zu schaffen. Ich schätze, dass es einer Truppenstärke von 44.000 Soldaten bedarf.
Das sind viele!
Warum sind das viele, wenn wir im ehemaligen Jugoslawien 67.000 stationieren? Diese Schwarzen zählen nicht? Es ist nicht das Gleiche wie auf dem Balkan? Es sind keine Europäer? Sie sind nicht weiß? Sie bedrohen die Sicherheit nicht, verdammt noch mal! Sie zählen einfach nicht so viel! Warum sollten wir nicht 44.000 Soldaten in Darfur stationieren, was einer Brigade pro Provinz in Darfur entspricht plus einer im Tschad, die zurückkehrende Flüchtlinge schützt?
Ginge es mit weniger Soldaten?
44.000 Soldaten ist das obere Maß, 18.000 das untere. Bei der kleinen Truppe wäre das Risiko allerdings größer, sie müsste mit mehr Helikoptern und Nachtvisionssystemen ausgerüstet sein, um den Mangel an Soldaten auf dem Boden wettzumachen. Aber mit 4.000 AU-Soldaten, wie es nun der Fall ist, und einem Mandat, das ihnen nur erlaubt, zu beobachten und zu berichten, ist die Mission genauso schwach und ineffizient wie meine Mission in Ruanda 1994. Sie wird die gleichen schrecklichen Ergebnisse produzieren. Noch schlimmer ist, dass wir die Afrikaner dazu antreiben, afrikanische Probleme allein zu bewältigen, obwohl sie dazu nicht in der Lage sind. Wir werden die Glaubwürdigkeit dieser erst entstehenden Fähigkeiten der AU zerstören, weil es ihr versagt bleibt zu handeln.
Wie viele Soldaten müssten aus westlichen Nationen kommen?
Damit die AU ein Rückgrat hätte, müsste für die 44.000 Mann starke Truppe etwa ein Drittel der Soldaten aus westlichen Ländern kommen; für eine Truppe von 18.000 Mann etwa ein Fünftel. Ein Großteil ihres Einsatzes würde die Helikopter, Kommando- und Kontrollsysteme und logistische Fähigkeiten betreffen. Einige Bataillone müssten an der Front eng mit den afrikanischen Soldaten zusammenarbeiten.
Was sollten die Truppen tun?
Zunächst müssten Truppen in den Lagern für Zwangsvertriebene und Flüchtlinge eingesetzt werden. Sie benötigen vor allem Nachtvisionssysteme, um Angriffe während der Nacht abwehren zu können. Zweitens müsste eine Truppe sowohl die mit der Regierung verbündeten Milizen als auch die Rebellen bekämpfen und sie zur Verantwortung ziehen. Eine dritte Einheit sollte schließlich die Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit unterstützen. Das hieße, die Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in ihre Dörfer zu schützen und ihnen beim Wiederaufbau zu helfen.
Hätten Sanktionen oder ein Waffenembargo einen Sinn?
Die politische Diplomatie hat schon ausgespielt. Die Regierung in Khartum macht sich über die Unwirksamkeit der Diplomatie lustig. Entscheidend wäre, dass die gemäßigten Politiker an die Macht kämen und so eine Kompromiss-Regierung gebildet würde. Auch das könnte eine Intervention bewirken.
Wäre es nicht wichtig, erst das Vertrauen der Rebellen zu gewinnen?
Die Rebellen sind in meinen Augen nicht durchschaubar. Ich traue ihnen nicht, und bis ihre Motive nicht klar sind, bleibt offen, ob sie unterstützt oder als Kombattanten behandelt werden sollten.
Wie sehen Sie die UNO in der gegenwärtigen Krise?
Die UNO macht genau das, was die Regierungen ihr sagen: sei ineffizient, hab ein unwirksames Mandat; unterstütze die AU, aber verpflichte die entwickelten Länder nicht hundertprozentig. Der Sicherheitsrat und die Länder, die die Mitglieder des Sicherheitsrates nicht unter Druck setzen, sind dafür verantwortlich, dass die Lage sich nicht verbessert. In Ruanda passierte genau das Gleiche. Es gibt keinen Unterschied.
Warum sollten westliche Soldaten den Wunsch haben, in Darfur einzugreifen und schreckliche Szenen zu erleben?
Weil es die Pflicht der entwickelten Welt ist, den achtzig Prozent der Menschheit zu helfen, die Not leiden. Die unterentwickelte Welt drückt ihre Wut aus. Jetzt kommt diese Wut in Form des Terrorismus von Muslimen. Bald werden wir mit der gleichen Wut konfrontiert sein, die dann aus Afrika kommt.
Was würden Sie Soldaten, die nach Darfur gehen, mit auf den Weg geben?
Ich würde Ihnen sagen: „Ihr müsst menschlich bleiben. Ihr dürft nicht wütend werden, weil ihr dann dumme Dinge tut, und ihr dürft nicht so unempfindsam werden, als sei nichts geschehen. Ihr müsst ganz genau verstehen, was passiert.“ Diese Erkenntnis würde ihnen die Reife geben, mit dem Erlebten zu leben.