: Ökologie – Thema unter vielen
Umweltschutz, einst tragende grüne Säule, ist zwar wichtig fürs Gemüt, hat heute aber nichts mehr mit alternativem Lebensstil zu tun
„Ökologie!“ Das war der entscheidende Antrieb zur Gründung der Grünen. Der Begriff „Ökologie“ bedeutete freilich etwas ganz anderes als des heute übliche Terminus „Umweltschutz“: Im Widerstand gegen die Atomkraft vereinten sich in den Siebzigerjahren zwei grundverschiedene Strömungen zu einer Bewegung. Hier die wertkonservativen Naturschützer, die ihre Heimat bewahren wollen – dort die linken „Radikalökologen“, die den Kapitalismus für die ökologische Krise verantwortlich machen und Widerstand gegen „das System“ leisten wollen. Beiden war die Sorge gemeinsam, dass der Raubbau an der Natur, ebenos wie das Atomwaffenarsenal, erstmals die Weiterexistenz der Menschheit als Ganzes infrage stellte. Wer sich damals als Ökologe bezeichnete, beschrieb damit ein komplettes Weltbild.
Heute ist Umweltschutz zwar immer noch entscheidend fürs grüne Gemüt. Niemand aber würde seine Haltung heute über Umweltpolitik definieren und keiner damit eine systemkritische oder naturromantische Haltung in Verbindung bringen. Im Gegenteil: Der moderne Umweltpolitiker sucht Win-Win-Lösungen und favorisiert ausgefeilte Instrumente, wie die Ökosteuer oder den Emissionshandel. Marktwirtschaft ersetzt Kapitalismuskritik.
Und selbst der Treibhauseffekt lässt heute niemanden mehr ernsthaft um die Menschheit bangen. Das Ausmalen der Klimakatastrophe ist eher ein Stilmittel der Diskussion, niemand stellt deshalb ernsthaft seinen Lebensstil infrage.
Ist das nun – 25 Jahre später – der große Verrat an den Gründungsidealen? Warum beendete der grüne Parteitag im Sommer 2000 mit seiner Zustimmung den Kampf gegen die Atomkraft mit dem Atomkonsens, mit dem sich der Ausstieg bis in die Zwanzigerjahre hinziehen wird? Aus Machtgeilheit? Um die Koalition zu erhalten? Wohl kaum.
Anders als die Friedensbewegung schaffte es die Antiatombewegung selbst zu ihren Hochzeiten nie, hunderttausende Demonstranten in die Hauptstadt zu locken – sie bestach eher durch den hohen Einsatz der Blockierer und Bauplatzbesetzer vor Ort. Zudem flaute die Umweltbewegung Ende der 80er-Jahre erheblich ab. Auf dem Höhepunkt der Verhandlungen des Atomkonsenses kamen nur ein paar tausend Demonstranten nach Berlin – während in Gorleben die Anti-Castor-Szene ihren Unwillen lieber am grünen Umweltminister ausließ als am Kanzler oder der Atomindustrie. So ist der unbefriedigende Atomkonsens vor allem Ausdruck der realen Machtverhältnisse. Und die waren den Grünen auf ihrem Atom-Parteitag vor viereinhalb Jahren absolut klar.
Als in den Achtzigern der Wald zu sterben schien, war Umweltschutz für eine kurze Zeit Mainstream, und die Grünen waren noch in der Lage, die Gesellschaft zu prägen. Leider schwächelte die SPD. Die Grünen haben das historische Pech, zu spät an die Macht gekommen zu sein.
Die Gesellschaft gruselt sich längst nicht mehr vor dem ökologischen Untergang. Echten Horror befällt den Deutschen heute nur noch beim Gedanken, sein Land könne im Globalisierungswettlauf wirtschaftlich abgehängt werden. MATTHIAS URBACH
Matthias Urbach, 38, ist politisch selbst ein Kind der Antiatombewegung