: Aus einem Flirt wurde die Liebe fürs Leben
In der „Circusschule Corelli“ in Bonn werden keine Berufsartisten ausgebildet. Der Leiter des gemeinnützigen Vereins, Hanspeter Kurzhals, möchte, dass Kinder lernen, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Seit 25 Jahren führt der gelernte Mathematiklehrer Kinder in die Akrobatik, Zauberei und Clownerie ein
Von Melanie Katzenberger
Hanspeter. Im Minutentakt fällt der Name. Hanspeter, da fehlt eine Schraube. Hanspeter, dürfen wir die Schlangen angucken? Hanspeter, kann ich am Samstag trainieren?
Irgendjemand will immer etwas von Hanspeter Kurzhals. Der Gründer und Leiter der „Circusschule Corelli“ im Bonner Stadtteil Oberkassel beantwortet ruhig alle Fragen. Keine Spur von Gereiztheit. Trubel ist er gewöhnt. Seit 25 Jahren führt der gelernte Mathematiklehrer Kinder und Jugendliche in die Akrobatik, Clownerie und Zauberei ein. Zur Zirkuskunst kam der 52-Jährige als Student. Damals fotografierte er einen kleinen Wanderzirkus, freundete sich mit den Zirkusleuten an und lernte die Welt des fahrenden Volkes kennen. „Das ist ja eine ganz andere Lebensphilosophie“, sagt er. Bald trat Kurzhals selbst mit einer Zaubernummer auf. Seine bürgerliche Familie hoffte auf einen kurzen Flirt, es wurde die Liebe fürs Leben.
Später gründete Kurzhals den gemeinnützigen Verein Circusschule Corelli e.V. Statt Lehrer wurde er Zirkusdirektor. Ein Vollzeit-Ehrenamt, das er sich leisten kann. Das einzige Kind eines Architekten hat geerbt. Mehrere Häuser, in Trier und in Bonn. In eines davon, sein Elternhaus in Oberkassel, zog die Zirkusschule mit Büro, Requisitenkammer, Schlangenterrarien und einer Vitrine für Preise und Auszeichnungen. Ein Zimmer bewohnt er selbst. Küche, Bad und Wohnzimmer teilt er sich mit seinen Schülern. Die Schule ist täglich geöffnet außer montags, der Schulbesuch kostet nichts.
Kurzhals ist groß, trägt Jeans, Sweatshirt, Brille. Das Auffälligste an ihm sind seine sonore Stimme und seine Art zu sprechen. Gebildete Männer in gehobenen Positionen reden so. Vorsichtig und etwas umständlich. Er sagt nicht „ich liebe den Zirkus“, sonder, das Thema sei „emotional unheimlich besetzt“ für ihn. Er steht im Probenzelt im Garten neben seinem Haus. An den Wänden hängen Hula-Hoop-Reifen und Einräder, das Trapez ist zur Seite gebunden. In der Mitte steht eine Rampe. Auf ihr balancieren zwei 12-Jährige auf großen gelben Bällen. Kurzhals schaut zu, kommentiert, gibt Tipps. „Die haben ihr Debüt am Sonntag“, sagt er. Sonst würde er sich nicht so einmischen. Kurzhals: „Wir legen ganz großen Wert auf Selbstständigkeit.“ Die Schüler kümmern sich um das Training, das Programm, die Kostüme, die Requisiten, die Technik. Die Älteren helfen den Jüngeren.
Die Rampe wird weggeräumt, die offene Probe beginnt. Zu ihr kann jeder ohne Voranmeldung kommen. Zweimal pro Woche findet sie statt. „Merken Sie, wie es sich allmählich füllt? Bedrohlich, nicht?“, sagt Kurzhals und grinst. 30 Kinder wuseln durch Garten, Haus und Zelt. In der Freiluftmanege üben zwei Mädchen mit dem Einrad. In der Werkstatt schrauben zwei Jungen herum. Eine Gruppe von Kindern bestaunt die beiden Tigerpythons, die träge in ihren Terrarien liegen, die einzigen Tiere im Zirkus.
Kurzhals will, dass Kinder und Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten. Berufsartisten möchte er nicht ausbilden. Dennoch sind einige seiner Schüler Profis geworden, wie der Kölner Clown Cito Pilini.
Im Zelt ist es jetzt proppenvoll. Einige üben mit Hula-Hoop-Reifen, andere balancieren auf einem Seil, die meisten stehen Schlange am Trapez. „Das ist nur etwas zum Hereinschnuppern“, sagt Kurzhals, der das Gedränge betrachtet. Für ernsthafte Proben werden Termine vereinbart.
Das „Hereinschnuppern“ dauert vier Wochen. „Dann wird eine Entscheidung getroffen“, sagt Kurzhals – „von beiden Seiten.“ Da sich der Zirkus zu 80 Prozent durch seine Auftritte finanziert, müssen die Akrobaten, Clowns und Zauberer gut sein. Wer nicht zum Artisten taugt oder keinen Spaß daran hat, wird nicht weggeschickt. Kurzhals: „Man kann für jeden was finden.“ Er erzählt von einem 14-jährigen Jungen, der sich auf Ton- und Lichttechnik spezialisiert hat. Eigene Kindern hat Kurzhals nicht. „Ich hatte immer diese vielen Leute um mich herum“, sagt er. Und wenn es mal eine Frau in seinem Leben gab, waren alle besorgt, dass er sie heiraten und den Zirkus vernachlässigen könnte. Seine große Liebe hat er längst gefunden.
Nächste Vorstellung: Sonntag, 16. Januar, Jupp-Gassen-Halle, Kastellstraße, Bonn, Kinderkarnevalssitzung, 15.45 und 17 Uhr