: Einfach blindlings die Treppe runter
Heimliche Sucht nach Innerlichkeit: In den Deichtorhallen ist die Schau „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2004/2005“ zu sehen
von Karin Liebe
Akkurat geschnittene Buchsbäume zieren den Minivorgarten einer Wohnsiedlung, ein einsames Nadelbäumchen reckt die Spitze gegen eine beigefarbene Hauswand. Stillstand und Tristesse in deutschen Wohn- und Industriegebieten hat Andreas Rose in seiner Serie Alles bleibt; anders festgehalten. Garagentore, Jägerzäune und Parkplätze sind seine profanen Motive – die erst auf den zweiten Blick ihren Reiz entfalten. Denn so still und starr geht es auf den zehn Bildschirmen mit den vermeintlichen Videostandbildern gar nicht zu. Blätter bewegen sich plötzlich sanft im Wind, ein Vogelschwarm zieht über den kahlen Acker.
Genau hinschauen und sich Zeit nehmen sollte man in den Nördlichen Deichtorhallen für die leider nur zwei Wochen lang gezeigte Schau gute aussichten – junge deutsche fotografie 2004/2005. Denn auf den ersten Blick wirken die zehn Serien mit insgesamt 119 Arbeiten von jungen Fotografen zumeist spröde und zurückhaltend. So zeigt Monika Czosnowska Porträtaufnahmen von Novizen und Novizinnen, die in einer ganz eigenen, inneren Welt zu leben scheinen. In ihren Kutten und Hauben, den Blick versunken abgewandt, wirken sie wie aus Gemälden niederländischer Maler des 17. Jahrhunderts herausgeschnitten. Dabei ist Monika Czosnowska mit ihren 27 Jahren die Zweitjüngste der zehn ausgewählten Fotografen.
Die Idee zu diesem ersten bundesweiten Hochschulwettbewerb für Fotografie, der von nun an jedes Jahr fortgesetzt werden soll, hatte Josefine Raab vom Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Motor war ihr Wunsch, auch unbekannten Fotografen ein öffentliches Forum zu verschaffen. Zusammen mit dem Fotografen Andreas Gursky und Mario Lombardo, Art Director der Zeitschrift Spex, hat die Kuratorin aus 60 Abschlussarbeiten von 22 deutschen Hochschulen und Fotoakademien zehn Serien ausgewählt, die schon in Wiesbaden zu sehen waren und jetzt auch in Hamburg präsentiert werden.
Nimmt man diese Ausstellung nicht nur als Trendschau junger Fotografie, sondern als Ausdruck für das Lebensgefühl junger Deutscher, so scheint die Sehnsucht nach Innerlichkeit groß zu sein. Selbst bei Bianca Gutberlets Serie Lubberland, die durch bonbonbunte Farbverfremdungen zunächst Expressivität suggeriert, schimmert hinter der grellen Fassade von belebten Rummelplätzen und Spaßbädern unübersehbar der Wunsch nach Ruhe und Zurückgezogenheit durch.
Völlig menschenleere Räume haben dagegen Christian Hörder und Angela Kovács fotografiert. Bei Hörder sind es Innenräume, die ganz auf Fenster, Wände und das Spiel des Lichteinfalls reduziert werden, bei Kovács sind es nächtliche Straßenszenerien mit Hochhäusern oder Containerbauten. Schön ausgeleuchtet sind beide Serien – und trotzdem lassen sie einen in ihrer reduzierten Bildsprache frösteln.
Wärmer wird es bei Tamara Lorenz. Da sind sogar Menschen in Bewegung zu sehen. Auch wenn die jungen Leute in Sweatshirt und Jeans ziemlich normal aussehen, verhalten sie sich etwas seltsam. Eine junge Frau steckt sich den Daumen in den Mund wie ein Nuckelbaby, ein junger Mann läuft mit einem Handtuch über den Kopf blindlings die Treppe herunter. Wollen auch sie nichts sagen und nichts sehen – sich also wie die Novizen in die Innenwelt zurückziehen? Lorenz‘ sorgfältig inszenierte Fotos erzählen humorvolle Geschichten, die neugierig machen.
Wohin der Blick bei dieser Schau aber immer wieder fällt, das ist Andreas Roses Videoinstallation in der Mitte des Raums. Streng genommen dürfte Rose als Videokünstler gar nicht bei einer Fotoausstellung vertreten sein. Aber so genau hat es die Jury glücklicherweise nicht genommen. Roses minimal bewegte Bilder in Echtzeit sind eine Wohltat zwischen all den stillen Serien. Und man fragt sich: Sind die Zeiten wirklich so karg, dass winzige Veränderungen wie ein Blätterzittern im Wind eine Sensation sind? „Gute Aussichten“ sind das nicht gerade.
Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; bis 20.1.