Gewalt in der Grauzone

Was wirklich passiert, wenn ein Afrikaner zwangsweise mit Brechmitteln behandelt wird, dokumentiert niemand

Auf die Frage, wie viele Fälle gewaltsamer Verabreichung des Brechmittels es in dem vergangenen Jahr gegeben hat, konnte Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) keine Antwort geben. Vier Mal, möglicherweise, sagte er. Aber wie viel Gewalt ist erforderlich, um auf diese Liste der „Top vier“ zu kommen? Wie viel Gewalt und Gewaltandrohung ist normal und gilt als „freiwilliges“ Trinken des Brechmittels? Darüber gibt es keine seriöse und einigermaßen unabhängige Dokumentation.

Der Arzt, so erklärte der Leiter des Gerichtsmedizinischen Institutes gegenüber der taz, hat mit dem etwaigen Gewalteinsatz nichts zu tun. Seine Berichterstattung beschränke sich auf die rein medizinischen Fakten. Und wie die Polizei ihr Handeln selbst dokumentiert, das zeigt der vorliegende Fall Conde, in dem es ausnahmsweise unabhängige Zeugen im Spezialraum des Abschiebegewahrsams gab. Wenn der Innensenator in der Sendung von buten un binnen behauptet hat, der Afrikaner leide vermutlich an einer Vergiftung, die er sich selbst zuzuschreiben habe, da er Brechmittel-Kügelchen zerkaut habe, und er sei nicht mehr in Lebensgefahr, dann war das nicht (bewusst) gelogen, sondern nur schlicht unwahr: Röwekamp hatte den Fehler gemacht, der Mischung aus Dichtung und Wahrheit vertrauen, die ihm die Polizei übermittelt hatte.

„Es wurde eine Exkorporation angeordnet, die gegen 1.10 Uhr vom diensthabenden Arzt des ärztlichen Beweissicherungsdienstes in den Räumen des PGW (Polizeigewahrsams) im Beisein der anordnenden Beamten durchgeführt wurde“, heißt es in der internen Polizei-Meldung. „Der C. wehrte sich massiv gegen den aufkommenden Brechreiz. Das erbrochene versuchte er wieder herunter zu schlucken bzw. zu zerbeißen.“ Die Frage der Gewaltanwendung durch die Polizei bleibt in diesem Bericht offen.

„Als sich der Vitalzustand des Probanden plötzlich massiv verschlechterte, wurden die Maßnahmen abgebrochen. Vom Notarzt wurden lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt. Nach der Stabilisierung des Zustandes wurde der C. ins Krankenhaus St.-Joseph-Stift eingeliefert.“

Kein Wort weist in diesem internen polizeilichen Dokument auf den „Erstbefund“ des Notarztes hin, der in derselben Nacht „Bei Magenspülung ertrunkener Patient“ notiert hatte. Im Protokoll der Feuerwehr aus der Nacht des 27. Dezember stand auch, dass der „Patient nach Ertrinken“ aus dem Polizeigewahrsam ins Krankenhaus eingeliefert wurden musste.

Nach Informationen des Krankenhauses hat sich die Polizei zwischen dem 27.12. und dem 4.1. nur nach zusätzlichen Kokain-Kügelchen erkundigt, nicht nach dem Gesundheitszustand des Afrikaners. Am 4. Januar meldete die Polizeipressestelle: „Erst nach dem massiven Widerstand des Betroffenen, nach dem Runterschlucken und Zerbeißen des Erbrochenen verschlechterte sich der Vitalzustand des Mannes...“ Selber Schuld also. Wieder ist davon die Rede, er sei „nach Stabilierung seines Zustandes“ ins Krankenhaus eingeliefert worden. “ Wohlverstandenen kann das nur die Stabilisierung des Komas nach erfolglosen „lebenserhaltenden Maßnahmen“ meinen. Klaus Wolschner